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Klaus Hansen über:
Alexander Eilers: Russpartikel. Aphorismen. Nebst diversen Freundesgaben. Mit einem Vorwort versehen von Andreas Steffens. 90 Seiten. Würzburg (Königshausen & Neumann) 2021. ISBN 978-3-8260-7265-9

 

Der 1976 geborene Gymnasiallehrer und promovierte Literaturwissenschaftler Alexander Eilers hat 2018 den Aphorismen-Wettbewerb des Deutschen Aphorismus-Archivs gewonnen. Sein Meister-Aphorismus: „Dem Spiegelbild das Ich anbieten.“ In Zeiten des modischen Identitty-Geredes eine unprätentiöse Erinnerung daran, dass Identitätspolitik im Badezimmer anfängt. Nun legt Eilers nach „Kiesel“ (Würzburg 2019) einen neuen Band mit Gedankensplittern vor: „Russpartikel“. Warum dieser Name? Als „Einstimmung“ zu den knappen „Ein-Sätzen“ stellt der Autor zwei Zeilen aus Celans „Todesfuge“ voran: „…dann steigt ihr als Rauch in die Luft / dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng …“ Das ist eine gewaltige Bezugnahme. Ein deutsches Büchlein also? Andererseits: In den Schwebeteilchen des Rauchs, im Russ, erkennt Eilers die Spuren des Verbrannten. Ein Stöbern in Aerosolen, aber ganz anders als zu Corona-Zeiten üblich. Ein Wiedererkennen und eine Rettung des noch nicht ganz Verlorenen. Das birgt Hoffnung.

Neben den 222 eigenen – Schnapszahl als Ordnungszahl, warum? – bietet Eilers den Aphorismen von Freunden und Vorbildern Platz. Unter anderem kommen Ulrich Horstmann und Franz Hodjak („Auch das, was nicht geschieht, wiederholt sich“, S. 72) zu Wort. Dadurch wird das Buch zu einem Poesiealbum der Freunde des Aphorismus, nein, zu einer Freundesgabe: Dass ich so schreibe, wie ich schreibe, gibt Eilers zu verstehen, das verdanke ich auch euch. – Pflegt der Autor die Aphoristik als Lebensweise?

Aus dem sorgfältigen Vorwort von Andreas Steffens entnehme ich folgende Einschätzung, die auf den Kunsthistoriker Hermann Ulrich Asemissen zurückgeht und auf das Werk von Alexander Eilers zutrifft: „Aphorismen sind die philosophischste Gattung der Literatur und die literarischste der Philosophie. Im Grenzbereich beider bieten sie das Konzentrierteste an sprachlicher Form und gedanklicher Substanz. Nirgends sonst wird auf so knappem Raum so bündig auf die Sprache, das Denken, den Menschen und die Gesellschaft reflektiert.“

Der philosophische Aphorismus, wie ihn Eilers pflegt, zieht das Selbstverständliche in Zweifel. „Die Menschheit ist bloß ein Teil des Menschen.“(S. 43) Wir sind gewohnt, es andersherum zu hören – und uns nichts weiter dabei zu denken. Gerne wird gefragt, ob man sich als „Teil des Problems“ oder „Teil der Lösung“ verstehe. Eilers schreibt: „Die Lösung ist ein Teil des Problems.“ (S. 48) Und vice versa. Das sind Denkübungen, die zugleich moralische Besserungsübungen sind. Der philosophische Aphorismus zieht es vor, Fragen zu stellen und sich mit den Antworten nicht zufrieden zu geben: „In der Frage begibt sich die Antwort auf die Suche nach sich selbst.“ (S. 35) Sollte das zu einem abschließenden, erschöpfenden Ergebnis führen, war die Frage vielleicht falsch gestellt. (vgl. S. 61 „Vollendetes Wissen ist Halbbildung“ (S. 50): Der philosophische Aphorismus vermisst beim selbstgewissen Alleswisser den Reichtum des Mangels. Das macht die Halbbildung gefährlicher als die Dummheit, denn wer alles weiß, hat von nichts eine Ahnung. (vgl. S. 60)

Der philosophische Aphorismus ist immer kritisch. Aber: „Kritik verlangt Güte.“ (S. 55) Also scharfe Draufsicht und milde Nachsicht zugleich. Natürlich freut sich der Leser, wenn er Anknüpfungspunkte entdeckt, die es ihm erlauben, den Aphoristiker Eilers mit namhaften Vorgängern in Verbindung zu bringen und ihm den Rang zuzumessen, der ihm gebührt:

„Enteignung: Raub am Diebstahl.“(S. 60) Das erinnert in der Form an Ambrose Bierce und im Inhalt daran, dass Privateigentum ursprünglich gewaltsame Aneignung, Beute war. So betrachtet, wird Enteignung zur Wiedergutmachung. „Das schiefe Grinsen der Guillotine.“ (S. 37) Das erinnert an die Greguerías von Ramon Gómez de la Serna: „Die Ruder sind die Wimpern der Boote“. Mehr sensible Beobachtung als gewitzigte Botschaft. „Gesund ist, wer folgenlos erkrankt.“ (S. 63) Der symptomfreie Covidianer wird zustimmen. Aber auch der Aphoristiker Johannes Rau, im Hauptberuf Bundespräsident: „Es gibt nicht Kranke und Gesunde, sondern nur Untersuchte und nicht Untersuchte.“

Ein wertvolles Büchlein, denkanstößig und feinsinnig, in jede Westentasche passend, also immer zur Hand, immer wesentlich.

 

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