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Michael Wollmann über:
Andreas Egert: fehlfarbenfroh. Aphorismen. Fuldatal: edition federleicht 2022.

 

Der deutsche Journalist Andreas Egert (*1968) hat in diesem Jahr eine stark erweiterte Neuausgabe seines früheren Aphorismenbands „fehlfarbenfroh“ (Schardt-Verlag 2002) vorgelegt, die nunmehr sein „Opus magnum“ darstellen soll und „eine abenteuerliche Reise durch die Welt seiner Aphorismen“ verspricht, „die kaum ein Thema auslassen“ (Klappentext). Aufgeteilt ist der neue großformatige – und gar nicht mal so federleichte – 150seitige Aphorismenband in vier Teile: Im 1. Teil „fehlfarbenfroh“ werden die Aphorismen aus Egerts gleichnamigem, ironisch betitelten Erstling erneut abgedruckt, der 2. Teil enthält unter dem Titel „gedankenlose“ neuere Aphorismen, im 3. Teil werden leicht gekürzte Facebook-Diskussionen zu zwei Aphorismen wiedergegeben, und der 4. Teil enthält ein kurzes Nachwort von Thomas Berger. Dabei sind jedem Teil geschmackvolle farbige Zeichnungen von Norbert Städele (*1949) vorangestellt, die „(fehl)farbenfroh“ mitschwingen sollen.

Unverkennbar ist im 1. Teil der Einfluss von Ambrose Bierce bzw. dessen satirisch-sarkastischen aphoristischen Definitionen aus „The Devil’s Dictionary“ (1906). Obwohl der Klappentext verspricht, dass die Aphorismen „mal bissig, mal sprengend, mal gnädig, aber fast immer überraschend“ sind, verwirren manche sperrig-absurden Eingebungen Egerts im 1. Teil eher, als dass sie positiv überraschen könnten, so z. B.: „Placebos: für enervierende Hypochonder auf ihren Sterbebetten in spe vorzüglich geeignetes Beruhigungsmittel – erzielt mindestens die Wirkung von Methadon“ (S. 12). Egerts ältere Überlegungen zu den Spaghettiträgern eines Abendkleides wirken angesichts der heutigen #MeToo-Debatte(n) einigermaßen befremdlich und erzeugen im mitdenkenden Leser instantan eine unbehagliche Fremdscham: „Die Spaghettiträger ihres Abendkleides waren echte Sympathieträger – man hätte gerne ihre Bissfestigkeit getestet“ (S. 14). Leider lassen sich im 1. Teil tatsächlich auch dezidiert antifeministische bzw. antiemanzipatorische („Girlie-Generation“, S. 16) Aphorismen finden, beispielsweise zum Stichwort Emanzipation: „bemerkenswert erfolgreicher Versuch, sich den Dschungel mit dem Nudelholz zu erobern“ (S. 17). In bester altväterlicher Herrenwitz-Manier sind sogar manche Frotzeleien zu eruieren: „Sie hatte nichts drunter – und man wünschte sich, das wäre auf ihren Sommerrock beschränkt gewesen“ (S. 24). Oder: „Bei einem Weibsbild, das darauf beharrt, eine Dame zu sein, ist die Gürtellinie noch nicht in die Hose gegangen“ (S. 52). Noch ärgerlicher wirken nur Egerts Überlegungen zur Love-Parade: „bisher glanzvollster Triumph der Genmanipulation“ (S. 18). Hier verbindet sich eine ablehnende Haltung des Autors in unguter Weise mit einem biologistischen (!) Argument, was unabhängig von der tragischen Historie des Events (Unglück bei der Loveparade 2010) einen sehr faden Beigeschmack hinterlässt, selbst dann, wenn Egert an dieser Stelle nur aus einem elitären Habitus heraus eine mäßige Pointe für „gebildete“ Aphorismenleser machen wollte. Tatsächlich wird er als Vertreter einer elitären Aphoristik nicht müde, die „dumpfe und ordinäre Vulgarität des Pöbels“ (S. 26) oder die „Plebs“ (S. 29) zu brandmarken, sich über den „grölenden Mob“ (S. 22) oder eine „degenerierte[] Zivilisation“ (S. 12) zu echauffieren. Dieser ganze bildungsbürgerliche Habitus ist von einer ermüdenden Vorhersehbarkeit und bietet in geistiger Hinsicht keinen großen Mehrwert für den Leser. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass Egert sich im 1. Teil zwar sprachlich sichtlich bemüht (viele Aphorismen können vor lauter Adjektiven und Adverbien kaum mehr atmen und verharren geradezu in monolithischer geistiger Unbeweglichkeit), die Aphorismen aber trotz definitorisch reduzierter Form wenig eingängig oder geistig anregend sind. Nur einige echt lakonische, unprätentiöse Sentenzen und (teilweise mit Neologismen gespickte) Definitionen wissen letztendlich zu gefallen: „Selbst sein Schweigen war eine Phrase“ (S. 15); „Image: Gesichtsklitterung“ (S. 21); „Gerücht: Wahrheit, die durch den Kakao gezogen worden ist“ (S. 46) oder „Tradition: verspricht den Zeitgenossen auch zukünftig ein solides Jammertal“ (S. 48).

Im 2. Teil werden uns neuere Aphorismen, sogenannte „gedankenlose“, vorgestellt. Zunächst fällt auf, dass deutlich weniger Definitionen geboten werden und dafür mehr „monolithische“, schmucklose Sätze (die bei Egert aus gattungstheoretischen Erwägungen am Ende übrigens nie mit einem Punkt abgeschlossen werden), die teilweise nur aus einem Wort bzw. einem neologistischen Bindestrich-Kompositum bestehen. Dabei ist manches nicht wirklich neu. So erinnert Egerts „Für Aphorismen gibt es keine Drehbücher“ (S. 65) stark an Gabriel Laubs „Die Zukunft der Literatur liegt im Aphorismus. Den kann man nicht verfilmen.“ Auch in diesem Teil lassen sich einige deutliche Signale einer konservativen Kulturkritik finden, so z. B.: „In Deutschland gibt es mehr als 200 Lehrstühle für Gender-Mainstreaming – und keinen einzigen für den Aphorismus“ (S. 89). In diesem Sinne ist sich Egert in den vergangenen Jahrzehnten treu geblieben.

Die neueren Aphorismen Egerts wirken insgesamt deutlich reifer und bieten gegen Ende auch noch neuere „Hashtag-Aphorismen“ zu aktuellen tagespolitischen Themen wie Corona, dem Brexit oder dem Zustand der SPD. Dabei wissen einige ironische Überlegungen durchaus zu gefallen. So verkündet der Nietzsche-Kenner Egert mit gehörigem „Pathos der Distanz“: „#corona: die Götter mögen uns vor einer Pandemie, die nichts von Abstandsregeln hält, bewahren“ (S. 103).

Der 3. Teil beinhaltet zwei – wohl als Experiment zu verstehende – leicht gekürzte Facebook-Diskussionen über zwei Zitate. Diskutiert wird dabei offenbar mit mehreren Facebook-Freunden Egerts über den Rivarol-Aphorismus „Um genug zu lieben, muss man zuviel lieben!“ (S. 106-118) und das Kafka-Zitat „Der wahre Weg geht über ein Seil, das nicht in der Höhe gespannt ist, sondern knapp über dem Boden. Es scheint mehr bestimmt stolpern zu machen, als begangen zu werden.“ (S. 119-145). Dabei sind abgedruckte Beiträge von Brigitte Baur wie „DANKE, lieber Andreas!“ (S. 119) zu einer Erläuterung Egerts zum Kafka-Zitat oder ein Hinweis von Kai Petersen, dass er das von Egert verwendete Wort „Connaisseur“ noch einmal nachschlagen musste (S. 122), für das Verständnis des Egert-Buchlesers nicht wirklich von Belang. Hier hätte sicherlich noch mehr gekürzt werden müssen, um dem Gesamtresultat zumindest den Anschein von dialektisch geführten, tiefer greifenden platonischen Dialogen in einem sozialen Netzwerk zu geben. Die abgedruckte Fassung der Diskussionen erreicht jedenfalls in den gelungeneren Passagen gerade einmal das Niveau einer bildungsbürgerlichen Plauderei am sonntäglichen Kaffeetisch. Hier hätte mit etwas mehr intellektuellem Engagement der beteiligten Akteure wohl auch mehr erreicht werden können. Zudem beschleicht den Leser an manchen Stellen leider das ungute Gefühl, dass Egert seine „ungebildeteren“ Facebook-Freunde möglicherweise bewusst in Szene setzen wollte, um sich selbst auf ihre Kosten zu profilieren: „per anhalter durch den facebook-bahnhof.“ (S. 123)

Im 4. Teil, dem kurzen Nachwort von Thomas Berger, findet dieser noch einige lobende Worte für Egerts Aphoristik und gibt einige nicht uninteressante Hinweise zu dessen gattungstheoretischer Forschung zum Aphorismus. In Bezug auf Egerts Buchtitel weist Berger auf den folgenden Umstand hin: „Eine Farbe, die im Kartenspiel nicht Trumpf ist oder die im Blatt eines Spielers nicht vorhanden ist, bezeichnet man herkömmlich als Fehlfarbe.“ (S. 149)

So kommt denn auch Egerts Aphorismenband leider in weiten Teilen einer Fehlfarbe gleich und zeigt sich nur selten in farbenfroher Ironie, ohne eine ausufernde konservative Kulturkritik, die zu oft dem denkerischen Scharfsinn Egerts das Licht nimmt.

 

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