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Friedemann Spicker über:
Gunther Klosinski: Auf den Punkt gebracht. Kurze Gedanken. Mit einer Einführung von Klaus Homann. Stuttgart: Kröner 2021.

 

Die Frage, was neu sei an einer Neuerscheinung in einer alten Gattung, ist ihrerseits nicht neu, aber unverändert berechtigt und fruchtbringend. Große Themen wie ästhetische Innovation und Epigonentum verbergen sich darin. Auch an Gunther Klosinskis „Auf den Punkt gebracht“ ist sie zu richten, zumal der Band in einem namhaften Verlag erscheint, wie es Aphorismen selten erreichen. Klosinski (geb. 1945), emerierter Professor für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tübingen, ist seit 2007 mit vielen Veröffentlichungen in diversen Kurzformen (auch Lyrik) hervorgetreten, zuletzt bei Klöpfer & Meyer mit „Die Stille verschweigen“ (2013), „Sprichwörter. Gedreht und gewendet“ (2015) und „Was unter die Haut geht“ (2018). Ein Titel wie „Wie ich mir – so ich dir. Aphoristische Annäherungen an den Seelenfrieden“ (2016) lässt einen Beitrag zum Kapitel Lebenshilfe-Aphorismus vermuten, und auch der aktuelle Band geht auf diesem ausgetretenen Pfad mitunter weiter: „Der Glaube an sich selbst – Der Glaube an sich selbst / Kann vieles überwinden / Nur nicht sich selbst“ (69). „Schönheit und Ergriffenheit“ (17), Seele und Stille sind die bekannten Zutaten: „Regen und gute Gedanken – Regen / Lässt das Gras wachsen / Stille / Gute Gedanken“ (17). Die verbrauchte Form des Du-Aphorismus im Imperativ, die damit zusammenhängt, kann auch Klosinski nicht wiederbeleben: „Mensch ärgere dich nicht – Mache es wie Gott / Werde Mensch / Ärgere dich nicht / Vergib dir ab und zu“ (46). Und von den unsäglichen Reimereien im Stil der Kalenderblätter aus den 50ern kann man nichts Besseres sagen als schweigen: „Wertvollste Sachen – Leben lieben lachen / Sind die wertvollsten Sachen“ (113) oder „Gnädige Erinnerung. – Die Erinnerung geht auf uns gnädig ein / Sie lässt vergessen was nicht hätte sollen sein“ (20). (Die äußere Form ist ansonsten von der Mittelachse und der Überschrift geprägt, die teils – zwar herausgehoben – auch in den Text übergeht.)

Der Band geht im – gereimten oder nicht gereimten – Trivialaphorismus älterer Jahrzehnte aber nicht auf, die eigenen „Schandtaten“ zum Beispiel hatten dort keinen Platz: „Überzeugung, ein guter Mensch zu sein – Die Überzeugung, ein guter Mensch zu sein / Ergibt sich aus der Summe all jener Schandtaten / Die man nicht bereut vergessen zu haben“ (124). Was ist im Sinne der Eingangsfrage nun „neu“, was ist spezifisch? In den selbstreflexiven Aphorismen steckt die ganze Qualitätsspanne der „Kurzen Gedanken“ exemplarisch, einerseits das allzu bekannte „Stolpern“ und allzu banale „Schmunzeln“: „Aphorismen. – Wortkarikaturen / Über die man stolpern muss / Und schmunzeln können sollte“ (45), andererseits gelungene Lakonie: „Aphorismus. – Kurzer Rede / Langer Sinn“ (50).

Was liegt neben den Kalendersprüchen und der stillen Lebenshilfe nunauf der einen Seite der Waage – vorab: ich fürchte, sie ist die schwerere –, was auf der anderen? Dass Klosinski die altbekannten Themen, Wahrheit und Lüge, Liebe und Glück, Zeit und Gegenwart, Leben und Sterben abhandelt, dass Zweifel und Glaube geradezu obsessiv thematisiert werden, ist in keiner Weise zu monieren, vor allem dann nicht, wenn er auch Neues aufgreift, die „Querdenker“ (26) oder die „Fake-News“ (107). Entscheidend ist das Wie, und das ist bekanntlich umso schwerer, je konventioneller die Themen sind. Dem Autor gelingen hier relativ viele sprachlich überraschende Aspekte, wenn er fragt, „Wie sich der Zweifel versteht“: „Der Zweifel ist Gratiszugabe des Glaubens“ (93) oder wenn er von der „Zweifelshoheit“ spricht („Glauben – Glauben heißt / Die Zweifelshoheit weiterschreiben“, 64) und das „Zerstreuen“ buchstäblich und im Bild neu formuliert: „Zweifel zerstreuen – Um Zweifel zu zerstreuen / Muss man die Bruchstücke des Glaubens / Zusammensuchen und verbinden“ (90). Einerseits bleibt der Aphorismus banal: „Leben ist – zielführend zum Tod“ (127), andererseits gewinnt er der Sache metaphorisch eine neue Färbung ab: „Sterben – Wenn das Leben / Außer Vollzug gesetzt wird“ (56); „Ohne Leben – keine Teilhabe am Tod“ (57).

Ein Einerseits – Andererseits auch, was die Form betrifft. Auch bei Klosinski sind die Phraseologismen eine beliebte Quelle der Pointierung, auch hier geht man baden (61), sieht das Gras wachsen (63) und schwimmt gegen den Strom (59). Die antithetisch orientierten Wortspiele sind allzu oft gespielt, ob „ein“ und „aus“ (99), „leicht“ und „schwer“ (19) oder „vor“ und „nach“ (57, 89, 99), ob „hell“ und „schwarz“ (15) oder „rot“ und „grün“ (34). Auch im Gattungssinne besonders wirkungsvolle Satzstrukturen (Je …, desto…; Wer…, der…) überraschen nicht, und man fragt sich wie oft auch hier manchmal, ob die Form nicht über den Inhalt siegt: „Wort halten – Wer gelernt hat / Auch mal den Mund zu halten / Hält öfter mal Wort“ (86): Gibt es wirklich eine Korrelation zwischen Schweigsamkeit und Verlässlichkeit? „Nicht Farbe bekennen – Wer nicht Farbe bekennen kann / Ist genötigt schwarz-weiß zu denken“ (109): Was hat klare Meinungsäußerung mit undifferenziertem Klischeedenken zu tun?

Auf der anderen Seite: Wenn man Klosinski auch als „-Logistiker“ nur auf ausgewählten Pfaden folgen möchte: „Wort-Clown“ ist er nie: „Aphoristiker – Wort-Clown / und -Logistiker“ (91). Man wird der billigen Effekte des Wortspiels nicht, wie ebenfalls so oft, müde, sondern wird oft aus der Form heraus zur Auseinandersetzung provoziert (wenn diese auch nicht selten in Dissens mündet), bei den schamlosen Feigenblättern (16) ebenso wie bei der Kombination von „Zeitgeist“ und „Geisterfahrer“ (86). Es gelingt ihm auch hin und wieder, gewinnbringend an gedanklichen Grenzen zu spielen, so mit Zukunft und Vergangenheit, Wirklichkeit und Möglichkeit: „Warum darf es nicht so sein. – Es kann nicht alles so bleiben / Wie es nie war / Warum sollte es nicht so werden / Wie es nie hätte sein können“ (41, vgl. 33) Zumal das Paradoxon ist sparsam eingesetzt, wenn auch selten so gekonnt wie hier: „Was wir gerne hätten – Wer würde nicht alles geben / Um das zu bekommen / Was er nur zu gerne hätte“ (83). „Gier. – Wenn genug / Nicht genügt“ (33): Die typisch aphoristische Einseitigkeit wird man ihm – etwa mit Konstantin Wecker („Genug ist nicht genug“) – nicht entgegenhalten können. Die Form der (Schein-)Definition ist vertraut; im besten Fall kann sie, darf man sagen: ‚auflesen‘ lassen: „Notorischer Lügner – Lagerist bei der Firma / Lügen auf Lager / In Festanstellung“ (61). Es sind überhaupt besonders die skurrilen Ideen, die hier auffallen und gefallen: „Unser Vertrauenseinkommen – Unser Vertrauenseinkommen hängt ab / Von unserem Hoffnungsaufkommen“ (124); „Rückblick auf eine verlorengegangene Zeit. – Im Inhaltsverzeichnis / Ungelebter Stunden blättern“ (52).

Wenn auch vieles, nicht nur die Reime, auf der falschen Seite der Waage liegt: Diese Ideen legen ihr Gewicht auf die andere Seite, und es sind deshalb sie, die am Schluss im Zitat herausgehoben sein sollen: „Dein Leben / Ein Abenteuer für zwischendurch“ (23) ; „Achtsame Bescheidenheit – In Rufweite / Hinter den eigenen Erwartungen / Zurückbleiben“ (123), erst recht, wenn sie, etwa zu Leben und Tod, der genuin aphoristischen Kürze dienen: „Die Jagd nach Ruhe / Bringt uns außer Atem“ (51).

 

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