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Jürgen Wilbert über:
Hans-Jürgen Stumme: Leuchttürme sind Orientierungspunkte. Meer sind sie nicht. Mit Fotografien von Felix Stumme. Remscheid: Rediroma 2020.

 

Der Autor, geboren 1954 in Düsseldorf, lebt in Neuss und legt hier seine erste Veröffentlichung vor. Nach seiner Ausbildung zum Industriekaufmann und dem Abitur 1979 studierte er an der Universität Köln Germanistik, Soziologie und Philosophie. Sein erstes Aphorismen- Bändchen umfasst 48 Seiten und beinhaltet fünfzig Kurztexte zum Themenkomplex Gesellschaft und Politik. Zehn dieser Aphorismen werden von Fotografien seines Sohnes Felix begleitet. Stumme war Preisträger bei den DAphA-Wettbewerben 2018 (2. Platz) und 2020 (3. Platz). Im Klappentext lädt der Autor die Leserinnen und Leser dazu ein, „im Denkgebäude Aphorismus (…) Räume für eigene Gedankengänge … (zu erschließen).“

Die Aphorismen sind in einem Inhaltsverzeichnis nach Stichworten (zehn an der Zahl) gegliedert. Unter „Guter Vorsatz“ finden wir auf S. 8 „Wer früh genug Gräben zuschüttet, vermeidet später Gräber ausheben zu müssen.“ In vielen seiner Texte kommen die gebräuchlichen literarischen Stilmittel zur Anwendung, insbesondere das Wortspielerische im Sinne des Gegensätzlichen oder des (vermeintlichen) Widerspruchs – wie etwa auf S. 15: „Es gibt sie leider immer noch: Politiker, die mit leeren Worten für volle Säle sorgen.“ Und: „Es sind selten die hellsten Köpfe, denen man nicht im Dunkeln begegnen möchte.“ (S. 19) / „Aus „heimzahlen“ folgt auf S. 43 „das Heim zahlen“. Zur Eigenart seines aphoristischen Schreibens zählt das Wörtlichnehmen der Begriffe: „Wer Worte wie Pfeile gebraucht, sollte dabei nicht den Bogen überspannen.“ (18) An anderer Stelle wird der Geduldsfaden zu einem dicken Tau oder „…Lichtgestalten fristen… nur noch ein Schattendasein.“ (S. 43) Weniger gelungen erscheint diese kalauernde Wortneuschöpfung: „Würgstoffe“ im Aphorismus auf S. 31: „Der maßlose Alkoholgenuss ist oft die Ursache dafür, dass Wirkstoffe zu Würgstoffen werden.“ Beliebt sind bei ihm auch die Variationen von gängigen Redewendungen und Phrasen, z.B. in diesem Satz mit Appellcharakter:„Wer glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, sollte bedenken, dass es große und kleine Löffel gibt.“ (S. 26) Im folgenden Textbeispiel verknüpft er gleich zwei Redensarten miteinander: „Auch diejenigen, die das Gras wachsen hören, sehen manchmal den Wald vor Lauter Bäumen nicht.“ (S. 28)

Sehr häufig bedient sich Stumme der bei Aphoristikern gängigen Satzstruktur „Wer …, der…“; mal verknüpft mit einem selbstreflexiven Erkenntnisgewinn: „Auch wer stets nach der Devise ‚Es ändert sich ja doch nichts‘ verfährt, wird früher oder später von seinem Spiegelbild eines Besseren belehrt.“ (S. 38), mal kommunikativ-witzig gemeint: „Wer die Lacher auf seiner Seite hat, wird in der Regel ernst genommen.“ (S. 39). Originell sind auch die folgenden Gedankenanstöße bzw. aphoristischen Definitionen: „Der letzte Atemzug. Ein Zug, dessen Verspätung viele Menschen begrüßen würden.“ (40) / „Manche Menschen leiden unter einem Tennisarm, weil sie sich ständig selber auf die Schulter klopfen.“ (S. 30) Eine inspirierende sozialkritische Denk-Anzettelung stellt schließlich dieser Satz auf S. 25 dar: „Den Verdurstenden interessiert nicht, ob das Glas halb voll oder halb leer ist.“

Das Bändchen ist insgesamt sehr großzügig mit einer gut lesbaren Schrifttype gesetzt, mit viel Raum für die Lesenden, die Gedanken weiterzuentwickeln. Die meisten Fotos korrespondieren gut mit den Aphorismen und deren Sprachbildern, vor allem auf den Seiten 29 und 40. Der Vorstand des Fördervereins DAphA ( Deutsches Aphorismus-Archiv) ist erfreut darüber, dass einem weiteren Preisträger bei den Aphorismus-Wettbewerben der Schritt gelungen ist, seine aphoristischen Texte einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.

 

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