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Klaus Hansen über:
Markus Mirwald: Die Freude an der Herausforderung. Wesentliches in wenigen Worten. Band 5.Wölbling: Eigenverlag 2021.

 

Titel und Untertitel verraten viel. Was andere bedrückt, klein macht und stumm – Ungewissheit, Druck, Stress, „Herausforderung“ eben –, verschafft Mirwald die nötige Luft unten den Flügeln: „Manch eine Herausforderung ist mit der Gnade verbunden, über sich hinauswachsen zu dürfen.“ (S. 233) Das im Untertitel (der zugleich der Serientitel aller vier bisher erschienen Bände ist) zitierte „Wesentliche“ ist immer Dialektisches: In jeder Schwäche die Stärke erkennen, im Scheitern den Erfolg, im Ausgesprochenen das Unausgesprochene. Was dich aus der Bahn wirft, führt dich auf den rechten Weg. Oder, mit dem Aphorismus von Seite 230 gesprochen: „Verbundenheit ermöglicht uns, Gegensätzliches als Ergänzung zu erleben.“ Solch dialektischer Geist durchweht das Werk.

Die linke Seite des Buches gehört allein der Seitenzahl, die rechte einem einzigen Aphorismus, der handschriftlich niedergelegt ist und druckschriftlich „übersetzt“ wird. Da es sich um den fünften Band eines durchpaginierten Werks „in progress“ handelt und jeder Band 50 Aphorismen enthält, beginnt der vorliegende Band folgerichtig mit der Seitenzahl 201. Stellt man den letzten Aphorismus aus dem vorhergehenden Band 4 neben den ersten aus Band 5, ergibt sich folgendes Spektrum: „Was uns unmöglich erscheint, verunmöglichen wir jeden Tag, an dem wir nicht wagen, es möglich werden zu lassen.“ (Band 4, S. 200) – „Hingabe erfordert, sich mit seinem ganzen Sein auf Ungewisses einzulassen.“ (Band 5, S. 201) Da mag es für manches Ohr heideggern und ernstjüngern, aber die Feier des menschlichen Möglichkeitssinns ist für jedes Ohr hörbar: Der Mensch ist das Wesen, das auf Zukunft angelegt ist, und Zukunft ist ein anderes Wort für Füllhorn. Das schreibt einer zu einer Zeit, da es üblich geworden ist, in die Zukunft zu schauen wie in eine Geschützmündung. Die Handschrift legt Zeugnis von der Persönlichkeit des Schreibenden ab, die Druckbuchstaben erleichtern das Lesen, berauben aber die Schrift ihrer Körperlichkeit. Mirwalds Handschrift ist gedrungen, kräftig, ja muskulös, aber immer filigran. Man wird an singhalesische Zeichen erinnert – oder an Leichtathletik. „Der schreibt wie ein Weitspringer“, durchfuhr es den Rezensenten, der selbst ein begeisterter Werfer war. Der Autor legt Wert darauf, dass seine Bücher „regional und ökologisch“ produziert und von ihm selbst verlegt werden; so beugt er der Zensur des Kommerzes vor. Buchformat (20 x 14,5, quer), Papierwahl, Fadenheftung und Lesebändchen müssen ebenso erwähnt werden wie das immense Seitenweiß als Firmament von allem: „The Medium ist the Message.“ Erstaunlich die Altersweisheit des 1982 geborenen österreichischen Autors; noch erstaunlicher, dass sie auf den Leser nicht altklug wirkt, sondern einfach gedankentief und uneitel. Den gelegentlichen Overload an Pathos verbuchen wir unter „sympathischem Überschwang“.

Wer das Satirisch-Bissige sucht, wird enttäuscht sein. Hier ist weder ein Scharfmacher noch ein Pointen-Jäger am Werk. Leise im Ton, genau in der Wortwahl, und kaum ein Wort zu viel – das zeichnet die Sinnsprüche Markus Mirwalds aus. Die optimistische Verfremdung des Vertrauten im Kammerton, das ist die große Stärke des Bandes. Aphorismen der Lebenskunst.

 

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