zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Friedemann Spicker zu:
Michael Rumpf: Was nützt es, wenn ein Chamäleon Farbe bekennt?
Mödling: Bellaprint 2019

Das neue Buch von Michael Rumpf erscheint nicht bei Manutius, sondern im österreichischen Bellaprint Verlag, mit dem wir auch in bestem Kontakt sind, es trägt eine für diesen Autor eher ungewöhnliche sprachspielerische Frage im Titel, und es sind auch nicht alles neue Texte: „444 Aphorismen, viele bisher unveröffentlicht“.

Um mit dem Äußeren zu beginnen: Das Format, die Typographie, insbesondere die übergroß gesetzten linken Seiten mit je einem Aphorismus (so leicht kann man „Größe“ nicht herstellen!), die diversen floralen graphischen Elemente zwischen den je fünf Aphorismen auf den rechten Seiten, all das will nicht recht zu der gedanklichen Klarheit passen, die Rumpfs Texte in seinem zehnten Aphorismenband (von Essays, Gedichten, Übersetzungen abgesehen) wieder auszeichnet.

Kennt man einen Aphorismenband, in dessen Wein nicht auch Wasser wäre? Es kommt auf die Anteile an. Der relativ kleine Anteil Wasser, das sind die Texte, in denen das Wortspiel im Vordergrund steht. Wer unter unseren Autor(inn)en-Mitgliedern kennte diese Versuchung nicht? Nicht nur „Geflügelte Worter müssen oft notlanden. In Kalau“ (47). Da erscheint die Pointe als „Spitzfindling“ (85), da steckt jemand „in Launenhaft“ (59), da ist der„Flirt: ein Charme-mützel“ (131) und Neige – Neide (33) oder Marotte – Marionette (139) scheinen eher von der Freude am Klangspiel gesteuert. Die herkömmlichen syntaktischen Muster sind auch bei Rumpf erkennbar oft verbraucht, so „Wer…, der…“ („Wer selber denkt, hat Heimvorteil“, 31,vgl. 19, 27, 57, 75, 81, 135) oder „Lieber x als y“ („Lieber zwischen den Stühlen sitzen als zwischen den Fronten stehen“, 97) oder „Wenn…, dann…“. Aber da trägt der Gedanke das alte Muster noch einmal, da sind wir schon beim reinen Wein: „Wenn die Konventionen sterben, treten Launen die Erbschaft an“ (27).

Wir bekommen bei Rumpf Gedanken und nicht nur Einfälle. Aphoristische Grundkategorien wie die Selbst- und Menschenbeobachtung („Um sich zu erkennen, muss man die anderen beobachten“, 92) und das Ineinander von Gedanke und Gefühl werden neu bedacht: „Ein Gedanke wird nicht gern daran erinnert, dass ihn ein Gefühl erzeugte“ (11), „Gedanken seien frei? Sie zappeln im Netz der Gefühle“ (66), die großen alten Themen: Glück, Liebe („Die Ehe bewahrt die Liebe, indem sie sie verwandelt“ 49), Hoffnung, Traum werden, mit Goethe zu sprechen, ,angefrischt?. Das recht eigentlich Bezeichnende ist darüber hinaus – bei durchgehendem Bilddenken („Hoffnungen sind Wünsche in Ausgehkleidung“, 79) – die Art, wie er rhetorisch schmucklos und in einfachster Syntax entfernteste Kategorien zusammenspannt:

„Das Unnütze ist der Widerschein des Vergeblichen“ (39)
„Im Beifall hallt die Kraft des Segnens nach“ (72)
„Wie viel Langeweile wohnt der Sehnsucht inne?“ (83)
„Schönheit erlöst von der Vielfalt“ (87)
„Maßstäbe kann man zum Prügeln benutzen“ (45)

Wenn der Leser zustimmt, dann nicht mit einem platten „genau!“, sondern mit Erkenntnisgewinn, so bei dieser auf Erleben beruhenden Einsicht: „Stille gibt Weite“ (145), dieser von empathischer Menschenkenntnis geprägten Aussage: „Die tiefste Einsicht in einen Menschen ist die in seine Notwendigkeit“ (121) oder dieser Grundsatzkritik, die ihre Wirkung gerade aus ihrer thetischen Kürze gewinnt: „Spaß ist Surrogat für Sinn“ (51).

Auch im Widerspruch, und da erst recht, bleibt der Leser nicht ohne Gewinn: Gibt es, „wo nichts heilig ist, […] keine Gemeinschaft“ (23)? Ist es nicht unstatthafte Vereinseitigung zu sagen: „Gesellschaftskritik schützt vor Selbstkritik“ (21)? Ist Liebe wirklich „das wertvollste Naherholungsgebiet“ (62) oder nicht auch genauso oft das Gegenteil? „Verstehen heißt einverstanden sein“ (101). (Ich habe während meiner langen Auslandsjahre angesichts kultureller Differenzen gerade darin einen Unterschied zu machen gelernt und würde es gern mit dem Autor diskutieren.)

Erkenntniszugewinn statt mechanischer Anwendung in der Regel auch dort, wo die bewährten Mittel zu erkennen sind, die Antithese („Sinnlos, sich über die Welt aufzuregen. Schamlos, es nicht zu tun“, 137) oder die Umkehrung („Nicht, wenn dir jemand fehlt, vereinsamst du, sondern wenn du niemandem fehlst“, 9). Im eher schwachen Gegenbeispiel wird erst recht klar, wie die Einfachheit dort aus Substanz geschöpft ist: „Geduld ist das Schlüsselwort der Erziehung“ (35).

Genug der Beispiele: Anders als beim Wein steht es hier jedem Leser frei, die kleinen Wasser-Anteile zu eliminieren. Und für jeden wird ein denkbar ertragreiches Tröpfchen übrigbleiben!

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen