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Jürgen Wilbert zu:
Rainer Kohlmayer: „Schnakenstiche, Kichererbsen, bittere Pillen“,
in: „Schnake – Zeitschrift für Sprachkritik, Satire, Literatur“, Nr. 49+50 (Germersheim – Oktober 2019)

Der Autor Rainer Kohlmayer, geboren 1942 in der Nähe von Kaiserslautern, ist für uns von DAphA kein Unbekannter, nahm er doch bereits an zwei der vergangenen Aphoristikertreffen als Referent teil, so 2010 mit einem Vortrag über „Sprachspiele als Übersetzungsprobleme“. Kurz zu seiner Vita: Er war von 2001 bis 2013 als Professor der Universität Mainz im Fachbereich „Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft“ am Germanistischen Institut in Germersheim tätig. Als Autor und Übersetzer von Theaterstücken gibt er seit 1982 die Zeitschrift „Die Schnake“ heraus und veröffentlicht darin in unregelmäßiger Folge eigene aphoristische Kurztexte. Dieser Doppelband der „Schnake“ (von Oktober 2019) umfasst laut Vorwort des Autors „fast alle bisherigen Schnakenstiche, es handelt sich um rund 500 Kurztexte, die „kaum unter dem strengen Gattungsnamen APHORISMUS“ gefasst werden können.

Alle Texte kennzeichnet nach eigener Aussage „die kritische und ironische Einstellung“. Er selbst bezeichnet sich als „eigensinniger Einzelkämpfer“. Diese Note kommt in sehr vielen seiner „Schnakenstiche bestens zum Ausdruck. Sie sind in XIII. Kapitel eingeteilt, darunter solche Überschriften wie „Sprache und Sprachspielereien“, „ Bildung und Bildungswesen“, „Philosophie und Erkenntnisse“ und „Soziales und Politik“. Auf die letztgenannte Rubrik werde ich mich im Folgenden vor allem konzentrieren – nicht zuletzt auch im Hinblick auf das Leitthema unseres nächsten Aphoristikertreffens: „Streitbar und umstritten“.

Viele seiner Kurztexte sind nach Nietzsche-Manier mit einer Überschrift versehen, z.B. in dieser seiner Definition des „Pluralismus. – Im Land herrscht Demokratie, in der Gesellschaft Darwinismus, im Betrieb Oligarchie, im Bewusstsein Konformismus, im Unterbewusstsein Anarchie.“ Bisweilen spürt man in seinen Texten überdeutlich den moralischen Zeigefinger, wie etwa in einer längeren Passage mit dem Titel „Übliche Widersprüche“. Darin finden wir diese Zeilen: „Parteien, deren Kampf für die freie Marktwirtschaft durch Bestechungsgelder motiviert wird. (…)“

In manchen Texten dominiert zweifelsohne die Sprachspielerei, mitunter als Kalauer: „Sieg nach Punkten. – Nach einem Gespräch unter vier Augen war er wieder k.o.operationsbereit.“ In einigen Notaten gelingt es ihm, Tiefgründigkeit, Prägnanz und Originalität optimal zu verknüpfen, wie in diesem Einzelsatz: „Schule der Nationalisten.- Uniformiert und uninformiert.“ An anderer Stelle folgen die „Schnakenstiche“ dem Schema des Chiasmus, wie etwa hier: „Die Arbeitsteilung geht so weit, dass diejenigen, die das Sagen haben, nichts mitteilen, und diejenigen, die etwas mitzuteilen haben, nichts zu sagen haben.“ Oder sie unterliegen dem Bauplan als Kontradiktion: „Bürgerlicher Gehorsam. – Druck von unten erzeugt Druck von oben.“

Am überzeugendsten gelingen Kohlmayers „Schnakenstiche“ als „bittere Pillen“, wenn sie mit originellem Wortwitz und reichlich Sarkasmus gewürzt sind, wie in: „Vorübergehende Beziehung.- Als sich die Liebe nicht einstellte, wurde sie eingestellt.“ Auch unser „Verband der Aphoristiker e.V.“, den er ja persönlich kennenlernen konnte, bekommt sein Fett weg und wird m.E. arg hinkend mit „Trappistenklöstern, Suizid-Chats, Selbstmordanschlags-Organisationen, Junggesellentreffs usw.“ verglichen. Kohlmayers etwas abseitige Quintessenz lautet hier: „Der Mensch verlässt die Herde immer nur um einer anderen Herde willen.“ Manches Mal erliegt der Autor seinem stark ausgeprägten Hang zu , ja zynischen Wortspielereien – vor allem in solchen „Kichererbsen“: „Tragik des Alters: Man wird zum Dunstgreis.“ / „Der Tod läuft mit. – In „leichtfüßig“ steckt bereits „leichfüßig“.

Insgesamt betrachtet, bietet diese Doppelausgabe der „Schnake“ eine Fülle von gleichermaßen humor- und geistvollen aphoristischen Kurztexten und stellt somit für sprachbewusste und gesellschaftskritische Zeitgenossen eine unterhaltsame wie anregende Lektüre dar. Dem / der Lesenden sei zudem das Kapitel 1 „Sprache und Sprachspielereien“ empfohlen, da hier ganz besonders die professionelle und profunde Lehr- und Lebenserfahrung des Autors zum Ausdruck kommt. Zum Abschluss meiner Zeilen daher hier ein Text aus dieser Rubrik: „Entsprechend dem Wort REDEWENDUNGEN für direkte, anschauliche Ausdrücke könnte man das Wort REDEWINDUNGEN für verlogene Umschreibungen verwenden.“

JWD, Düsseldorf, 27.10.2019

 

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