zurück zur Übersicht der Rezensionen
Walter Jakoby über:
Markus Mirwald: Ein unerwarteter Einblick. Wesentliches in wenigen Worten, Band 7, Eigenverlag, Wölbling 2025
Zwischen 2017 und 2022 erschienen unter dem Leitmotiv „Wesentliches in wenigen Worten“ sechs Bände mit Aphorismen von Markus Mirwald. Die sorgfältige und ästhetisch ansprechende Gestaltung der Bücher fällt sofort ins Auge. Jeder Band umfasst exakt 50 Aphorismen, die der Autor sowohl handschriftlich als auch in Druckschrift präsentiert. Neben der einheitlichen Aufmachung und dem verbindenden Leitmotiv schafft das an den Farbkreis von Itten angelehnte Farbkonzept eine übergreifende Verbindung zwischen den einzelnen Bänden – und soll wohl auch das Spektrum der thematischen Ausrichtung unterstreichen. Nach eigenen Angaben möchte der Autor „die Grenzen des Denk- und Machbaren“ verschieben, sich mit dem „Wesen des Menschseins und des sozialen Miteinanders“ befassen und „Vertrautes in neuem Licht“ erscheinen lassen. Dabei rüttelt Mirwald in seinen Texten jedoch nicht lautstark an den Toren etablierter Denkweisen, sondern klopft vielmehr vorsichtig mit dem Fingerknöchel daran, um durch den veränderten Klang hohle Stellen zu erkennen.
Thematik, Formulierung und Gestaltung der Aphorismen folgen einem stringenten Entwurfskonzept. Doch je konsequenter ein solches Konzept durchgehalten wird, desto mehr schreit die Symmetrie danach durchbrochen zu werden – sind es doch vor allem Abweichungen und Brüche, die kreative Impulse freisetzen. Nach einer ungewohnten, den jährlichen Rhythmus unterbrechenden Pause nährte der Titel des siebten Bandes tatsächlich die Hoffnung auf Unerwartetes – vielleicht sogar auf ironische, paradoxe oder streitbare Aussagen. Um es kurz zu machen: Mirwald bleibt auch im neuen Band seinem Themenspektrum und seinem zurückhaltenden Stil treu.
Die Aphorismen des neuen Bandes (Nummern 301 bis 350) widmen sich grundlegenden philosophischen Fragen (Wahrheit, Veränderung, Vergangenheit, Zukunft), sowie Merkmalen der individuellen menschlichen Existenz (Verstand, Hoffnung, Scheitern, Gelingen) und des sozialen Miteinanders (Beziehungen, Begegnung, Zuhören, Verbindlichkeit). Mirwald arbeitet gerne mit gängigen, kontrastierenden Begriffspaaren, wie Glauben und Denken, Wahrheit und Lüge oder Verstand und Gefühl. Er gewinnt diesen neue Einsichtsnuancen ab, etwa „Eine maßgeschneiderte Lüge ist oft anziehender als die nackte Wahrheit“ (308) oder „Wer bei Verstand ist, wird sein Gefühl nicht außer Acht lassen“ (329). Das Spiel mit Wortpaaren beherrscht er meisterhaft, wie etwa bei Wandel und Veränderung oder Einsichten und Aussichten: „Der Eindruck, zu kurz zu kommen, bringt die Gefahr mit sich, zu weit zu gehen“ (330). Selten jedoch wirkt das Wortspiel beliebig oder geht auf Kosten der Aussage.
In seinen Aphorismen verwendet der Autor klassische Formulierungsmuster, so tritt z.B. die Wendung „Nichts ist so …, wie …“ viermal auf. Er formuliert stets sehr zurückhaltend. Auch wenn er einmal moralisch appelliert, gestattet er seinem Zeigefinger höchstens ein leichtes Zucken. Auffällig ist dabei der häufige Gebrauch abschwächender Wörter, wie manch/e/r, oft, meist/zumeist, selten, einiges, ein wenig. Dadurch wird die Kraft der Aussage allerdings erheblich abgeschwächt, etwa „Manch ein unerwarteter Einblick führt zu einer überraschenden Einsicht“ (349). Vielen Texten kann ich ohne Weiteres zustimmen, sie sind aber weder im Thema, noch in der Aussage unerwartet. Anstoßen, Pointieren oder gar Provozieren ist Mirwalds Methode nicht. Es gelingt ihm aber durchweg, den Themen, die aus vielen Aphorismen bekannt sind, neue Facetten abzugewinnen, wie z.B.: „Die Weigerung, unser Wesen anzuerkennen, ist wie ein selbst auferlegter Fluch“ (332), „Auch eine flüchtige Begegnung vermag einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen“ (336), „Die Macht eines Irrtums endet erst, wenn wir uns diesen eingestehen“ (318).
Die Aphorismen halten, was der Titel verspricht: Sie bieten zahlreiche Einblicke, einige davon tatsächlich unerwartet. Angenehm zu lesen und zum Nachdenken anregend vermögen sie mich an gute Desserts denken zu lassen – sie sind nicht zum schnellen Konsum gedacht, sondern dazu, sie langsam zwischen Gaumen und Zunge zergehen zu lassen, um alle Nuancen genießen zu können. Die noch unvollständige Farbpalette der Bucheinbände lässt auf weitere Veröffentlichungen hoffen. Ich gestatte mir zu wünschen, dass der Autor einerseits dem Mirwald-Sound treu bleibt und andererseits Erwartungen im besten Sinne ent-täuscht, indem er gelegentlich sprachexperimentellere oder pointiertere Texte einstreut. Um es in seinen eigenen Worten auszudrücken: „Es ist verblüffend, wie viel ein wenig Mut verändern kann“ (312).
zurück zur Übersicht der Rezensionen