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Hans Norbert Janowski über:
Beat Rink: Ohne Himmel sind wir unbedacht. Aphorismen. Basel: Fontis 2024.
Eine Grunderfahrung des Journalismus: „Bad news are good news“ gilt cum grano salis auch für den Aphorismus; er lebt vom heilsamen Gift der Negation, von der Spannung des Widerspruchs und der Ironie. Da hat es die „Gute Nachricht“, die auf die Kraft der Hoffnung und den ‚Mehrwert‘ der Liebe baut, schwer.
Aber die Dialektik des Glaubensdenkens zeigt auch, welch starken Anteil die Gottesrede an der Erfahrung des Alltagslebens hat. Davon macht der Baseler Theologe und Literat Beat Rink mit der Berufserfahrung des Künstler-Seelsorgers Gebrauch. Das deutet schon der Titel an: „Ohne Himmel sind wir unbedacht“ – unser Denken ohne Dach und Orientierung. Die Dimension, die der Himmel dem Leben und Denken beifügt, wird in dem ganzen Aphorismenband erinnert und gefeiert: „Das Wort, das Fleisch wird, macht uns der Rede wert.“
Diese Rede erhält ihren klaren Klang aber nicht so sehr in der Negation, sondern in der Umkehr der Verhältnisse. Zum Beispiel: Nicht die persönliche Aktivität bringt uns zum wirksamen Reden und Handeln, sondern „Göttliche Gnade: Belohnung für eine Leistung, die erbringt, der mich beschenkt.“ Die kritische Umkehr, die der Glaube vollzieht, durchtönt als Generalbass die ganze Aphorismen-Partitur dieser Sammlung.
„Der erschrockene Gottsucher: ‘Er hat mich gefunden!‘ – Gott umgebe uns von allen Seiten, auch von der schlechtesten!“ Die kritisch-ironische Denkart des aphoristischen Geistes äußert sich hier in der göttlichen Umkehr der Optik als einer eigenen dialektischen Volte: „Wo Gott begrenzt, will er in die Weite führen. Erst wenn wir das Selbstverständliche wieder als Wunder erleben, werden uns Wunder wieder selbstverständlich. – Nur der Heilige Geist gibt Raum, indem er ihn einnimmt.“
Das führt zu weisen Beobachtungen: „Den Ängstlichen macht erst Gottesfurcht mutig.“ Oder: „Angst führt zu Mutproben, Gottesfurcht zu Demutsproben.“ Gelegentlich führt dieser Erkenntnisweg aber auch zu angestrengten Zuspitzungen, wie bei den Maximen: „Christen sollten es ernst meinen mit der Fröhlichkeit.“ Oder: „Liebe deinen Nächsten mehr, als er sich selbst liebt.“
Vor diesem Hintergrund erweist sich das kritische Potential des Aphorismus besonders im Umgang mit dem Welt- und Zeitbezug des religiösen Glaubens. – Dieser Tage hat ein konservativer Publizist besorgt geäußert, die Religion der Protestanten sei der Zeitgeist. Auf solche Polemik wüsste Rink beredt zu reagieren: „Gott geht nicht mit der Zeit, aber mit uns. Also mit unserer Zeit. – Seit er nur noch nach Gott fragt, interessiert er sich brennend für die Welt.“ Aber: „Wer um die Ewigkeit weiß, muss nicht immer mit der Zeit gehen.“
Neben manchen flachen Sprüchen („Er ist vom Regen in die Taufe gekommen“) liest man lebenskluge Einsichten: „Was heißt Umkehr für jemanden, der nur um sich selber kreist?“ – „Den aufrechten Gang auf Knien lernen.“ – „Die Ewigkeit bedenken kann man nur in Augenblicken.“ – „Die Gabe des Zungenschweigens einüben.“ Fürwahr, das täte manchem Zungenredner gut!
An anderen Stellen werden konfessionelle Unterschiede laut, an denen sichtbar wird, dass Bekenntnisaussagen, zumal im Wortspiel, die rhetorische Kompetenz der aphoristischen Kunstform überschreiten: „Einen Gott, der sich inkarniert, lässt sich nicht einverleiben.“ Das werden Katholiken und Lutheraner anders sehen als ein reformierter Theologe. Aber hier bewegen wir uns auf einem (anderen) Terrain nicht falsifizierbarer Aussagen. Da hilft vielleicht eine versöhnliche Erkenntnis: „Wir Analphabeter.“!
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