zurück zur Übersicht der Artikel
Albert Einstein
Drei Aphorismen (Oktober 1948)
Fundstück von Jürgen Schwarz. Hrsg. von Friedemann Spicker
Sinnvolles Leben. Das persönliche Dasein wird sinnvoll / durch die Überzeugung vom objektiven / Wert des eigenen Strebens und Wirkens. / Ist diese Überzeugung aber nicht durch / Humor gemildert, so ist man unerträglich.
Kompromiss. Der Weg der faulen Kompromisse ist ein / „one way road“. Da gibt es kein Umkehren / Und kein Still-stehen.
Individuum und Staat. Kein Wald ist denkbar, in dem es nur / Schling-Pflanzen gibt. Es braucht / Bäume, die aus eigener Kraft stehen / können.
Editorische Notiz (S. 201):
Die nachfolgenden drei mit Tinte geschriebenen aphoristischen Bemerkungen Einsteins finden sich auf einem offenbar von einem Notizblock mit gezacktem Oberrand abgetrennten, an der linken Ecke teilweise beschädigten kleinen Zettel: unterschrieben „A. Einstein. 9. X. 48“. Beim Zeilenfall und mit den überwiegenden Großbuchstaben am Zeilenbeginn ahmt Einstein die Form von (Prosa-)Gedichten nach. Während die durchwegs gereimten Gedichte für Johanna Fantova zumeist undatiert sind, ist diese eine Manuskriptseite offenbar ein bewusstes Widmungsblatt. […]
Quelle:
Peter von Becker: „Ich bin ein Magnet für alle Verrückten.“ Die Einstein-Protokolle. Sein Leben, seine letzte Liebe, sein Vermächtnis. München: Heyne 2025. Darin: Albert Einstein: „Statt ein Autogramm zu senden…“. Texte für Johanna Fantova. Aphorismen und Gedichte. Hrsg. von P. v. B.
Albert Einsteins (1879-1955) Themen in diesen drei Texten sind die größtmöglichen. Der erste Aphorismus relativiert die große Sinn-Frage und das Selbstbewusstsein durch die Kategorie des Humors, die eine tiefe und breite Spur duch die Literaturgeschichte gezogen hat.
Der zweite Aphorismus ist Einsteins aphoristischer Disposition gemäß weit entfernt von allen Spielmöglichkeiten, etwa mit der Antithese faul – fleißig. Die Frage nach seinem Standpunkt scheint mir hier nicht ganz eindeutig: Ist „kein Umkehren“ grundsätzlich positiv zu werten? Und wie ist der kompromisslerische Weg zu beurteilen, der kein „Still-Stehen“ erlaubt? Es ist der schlechteste Aphorismus nicht, der den Leser oder die Leserin statt apodiktischer Gewissheit in die Aktivität eigenen Denkens entlässt.
Im dritten Aphorismus geht er auf das große Thema vom Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft, das die ‚Überschrift‘ suggeriert, scheinbar gar nicht ein, sondern entwickelt „nur“ ein Bild, das auf einer Art von symbiotischem Gegensatz – wenn diese Paradoxie erlaubt ist – zwischen Schlingpflanze und Baum beruht, „Wald“ und „Staat“ metaphorisch gleichsetzt und implizit, aber dann doch deutlich den Wert des ‚eigenständigen‘ Individuums („aus eigener Kraft“) hervorhebt.
Ein paar Worte zur Einordnung: Der Aphorismus kann in seiner gattungsbestimmenden Ambivalenz als Erkenntnis-Spiel verstanden werden und begründet damit einen Zwischenbereich zwischen Philosophie und Literatur. Wenn dabei teils der erste, teils der zweite Bestandteil des Kompositums betont oder gar ausschließlich entwickelt wird, so zeigt sich Einstein hier eindeutig von der Tradition eines erkenntnisgeleiteten Aphorismus geprägt, wie er in der Zeit nach 45 überwiegt. Die Grenze zum „Prosa-Gedicht“ (Becker) ist im Übrigen im 20. Jahrhundert vielfach offen; das ist hier nur anzudeuten.
Wortspiel und sprachliche Pointe haben hier keinen Platz. Das ist für Einstein nicht selbstverständlich. So hat er beispielsweise ein besonderes Faible für Wilhelm Busch gehabt: „Wilhelm Busch, insbesondere der Schriftsteller Busch, ist einer der größten Meister stilistischer Treffsicherheit. Ich denke – außer vielleicht Lichtenberg – hat es keinen Ebenbürtigen in deutscher Sprache gegeben.“ Wichtiger in diesem Zusammenhang ist aber die Parenthese „außer vielleicht Lichtenberg“. Und Lichtenberg ist wahrlich nicht auf einen erkenntnisbestimmt-didaktischen aphoristischen Zweig, etwa im Sinne Goethes, festzulegen. Einstein hat mehrfach Zeugnis für die höchste Wertschätzung dieses Autors abgelegt. So heißt es in einem Brief an die belgische Königinmutter Elisabeth Gabriele Valerie Marie von Anfang Februar 1955:„Solcherlei Betrachtungen kommen einem, wenn man sich mit den Grüblern früherer Zeiten beschäftigt. Da ist es besonders Lichtenberg, der es mir angetan hat. Nachdem ich nun so viele Jahre auf dem Buckel habe, macht mir dieser Mann einen noch größeren Eindruck als je. Ich kenne keinen, der mit solcher Deutlichkeit das Gras wachsen hört.“ Und im folgenden Monat schreibt er ihr: „Das Reclam-Büchlein, das ich Ihnen sandte, wird Ihnen den Lichtenberg näherbringen. Er war Physikprofessor in Göttingen (18. Jahrhundert), ein Original mit wahrhaft genialen Anwandlungen, die sich in unsterbliche Gedankensplitter verdichteten. Von den längeren Sachen ist der Brief der Erde an den Mond besonders ergötzlich.“ („Gnädigstes Sendschreiben der Erde an den Mond“; Schriften und Briefe, 3. Band 1972, S. 406-413). Es mag hier reichen, die Attribute „genial“ und „unsterblich“ hervorzuheben. In dem Widmungsblatt für Johanna Fantova ist, dem Anlass geschuldet, diese aphoristische Farbe freilich nicht vertreten.
zurück zur Übersicht der Artikel
