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Michael Wollmann über:
Georg Neureither: Die Fragen der Anderen. Aphorismen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2025.
Dieser Tage hat der Jurist Georg Neureither seinen ersten Aphorismenband „Die Fragen der Anderen“ im Verlag Königshausen & Neumann veröffentlicht. Neureither lehrt Staatskirchenrecht und Kirchenrecht an der Universität Heidelberg, betätigt sich zudem als Fotograf, Dichter und leidenschaftlicher Leser (siehe hierzu: https://georg-neureither.net/category/bild-und-wort/was-er-liest/).
Das aphoristische Selbstverständnis Neureithers scheint eher gestalterisch-künstlerischer Art zu sein. Zu dieser Selbsteinschätzung passen das vorangestellte Motto von Sten Nadolny „Ein Wort nach dem anderen brachte er an, wie man Bilder an einer Wand befestigt.“ sowie die Verwendung diverser Schwarz-Weiß-Fotografien im Buch und ein bezeichnender Aphorismus des Autors, der auch für den Klappentext Verwendung fand: „Aphorismen sind die Schwarz-Weiß-Fotografien der Sprache: Sie betonen den Kontrast.“ (S. 16).
Unterteilt ist der schmale Band in 11 kurze Kapitel, die alle möglichen Themen des Lebens umfassen (Liebe, Kunst, Wissenschaft, Philosophisches, Gesellschaftliches, Menschliches, Glaube, etc.) und je nach Laune des Autors 3 (Wissenschaft) bis 47 (Menschliches) Aphorismen enthalten. Als Leser hätte ich mir ein etwas ausgeglicheneres Mischungsverhältnis gewünscht, doch Verlag und Autor werden sich bei dieser eher ungewöhnlichen Komposition sicherlich etwas gedacht bzw. die Irritation des Lesers bewusst in Kauf genommen haben.
Inhaltlich bietet der Band zahlreiche Selbstreflexionen des Autors, die sprachlich eher schmucklos daherkommen. Vieles davon wirkt trivial und abgegriffen wie die Sätze „Wenn ich bei dir bin, bin ich bei mir“ oder „Manchmal muss erst etwas sterben, bevor wieder etwas Lebendiges hervorsprießen kann.“ im 1. Kapitel (Überleben. Liebe, S. 11). Glücklicherweise lassen sich auch einige eher ungewöhnlichen Reflexionen im Buch finden: „Ich schreibe das Dunkel aus mir heraus, um mein Leben zu erleuchten.“ (S. 15); „Der Roman konfrontiert mit den Geschichten anderer, der Aphorismus mit der eigenen Geschichte.“ (S. 16); „Der Mainstream wird enger – und dadurch schneller.“ (S. 32); „Aberglaube ist die Verwechslung von Koinzidenz mit Kausalität.“ (S. 53).
Was uns bei Neureither des Öfteren begegnet, sind Zitat- und Sprichwortvariationen (zu Wittgensteins „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schreiben.“, S. 15; zum Faust-Zitat „Das Pentagramma macht dir Pein?“: „Das Instagramma macht mir Pein!“, S. 61; zum deutschen Sprichwort „Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben“: „Man soll die Bahn nie vor dem Bahnhof loben!“, S. 45), darüber hinaus auch einige Aphorismen in englischer Sprache von eher mäßiger Originalität: „It takes a lot of colour to fight back. It takes a lot of light to fight darkness.“ (S. 16); „Freedom day? Every day is freedom day!“ (S. 29); „To live means to leave.“ (S. 37).
Diese englischen Sätze scheinen mir neben zwei etwas gelungeneren lateinischen Sprichwortabwandlungen („Bibliotheca semper reformanda!“; „Manzana in corpore sano!“, S. 45) eher Ausweis einer gewissen Bildungshuberei zu sein, die sich an manchen Stellen im Buch besonders unschön ausnimmt („Lieblingsfrage zum Grundgesetz: Ist es am 23. Mai 1949 um 24 Uhr in Kraft getreten oder am 24. Mai 1949 um 0 Uhr? – Man muss Juristen lieben!“, S. 31; „So vieler Menschen, Geschehnisse, Dinge gedenken wir, aber immer seltener des Genitivs.“, S. 49) und einmal geradezu ins Absurde abdriftet: „Wenn wir uns schon so dermaßen schwer damit tun, der Ukraine angemessene Waffen zu geben, können wir ihr dann nicht wenigstens z. B. Astrid Lindgrens „Die Brüder Löwenherz“ in angemessener Stückzahl liefern?“ (S. 33). Eine schwierig zu führende gesamtgesellschaftliche Debatte über einen real stattfindenden Angriffskrieg mit einer billigen aphoristischen Pointe abzubügeln, die nur Aufschluss über die Belesenheit eines wohlmeinenden Aphoristikers gibt, wirkt nicht gerade unbedenklich.
Dass bemühte Wortspiele („Anständige machen keine Aufstände, weil Aufstände Anständigen zu unanständig sind.“, S. 30; „Trolle heißen Trolle, weil sie sich trollen sollen.“ S. 62) oder explizite Hinweise auf vermeintliche Paradoxien („Paradox ist, jemanden oder etwas der Rubrik ‚nicht zuzuordnen‘ zuzuordnen.“, S. 25) bei Neureither im Vergleich zu anderen Autoren der Gattung eher selten zu finden sind, ist dagegen ein zu würdigender Aspekt, der den Ernst der ersten Aphorismensammlung im Großen und Ganzen unterstreicht.
Auch wenn der Band viel Abgegriffenes enthält („Nicht die Zeit vergeht, wir vergehen.“, S. 38) – und insbesondere Neureithers Aphorismen zum Thema „Internet und Co.“ (11. Kapitel) eher peinlich zu lesen sind („LinkedIn schlägt mich mir selbst als interessanten Kontakt vor: gute Idee!“, S. 62) – so enthält er doch den einen oder anderen interessanten Denkanstoß, der das Potenzial haben könnte, „die Fragen der Anderen“ in aller Ruhe aufkeimen zu lassen.
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