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Elisabeth Turvold über:
Gerd Meyer-Anaya: Kurz und schlüssig. Psycho- und logische Aphorismen und Sentenzen, Bd. 2. Düsseldorf: Edition Virgines 2024.

 

Dass Personen der heilenden Berufe aphoristisch aus ihrem eigenen Berufsfeld schöpfen, ist kein Novum. Man denke etwa an die Medizinischen Aphorismen des jüngst verstorbenen Immunologen Gerhardt Uhlenbruck (1929-2023). Gerd Meyer-Anaya (geb. 1947) arbeitet, wie der Umschlagstext informiert, als Psychotherapeut in Düsseldorf. Er legt mit Kurz und schlüssig den zweiten Band seiner Psycho- und logische[n] Aphorismen und Sentenzen vor. Und er ist beileibe kein unbeschriebenes Blatt. Es handelt sich, so der Klappentext, um „die sechste Sammlung seiner kurzen, zielgenauen, häufig provokativen oder auch scheinbar komisch wirkenden Interventionen“. Unterteilt sind diese „Interventionen“ in fünf Abschnitte, deren Schwerpunkte sich wie folgt kategorisieren lassen: Allgemeinpsychologisches, Paarbeziehungen, Sprachspielerisches, Alter/Tod und Glaube, wobei die letzten beiden Teile relativ kurz ausfallen.

Auf den ersten Seiten bekommt man, wie erwartet, Sätze an die Hand gegeben, die in der psychotherapeutischen Praxis gefallen sein könnten: „Die lebenslängliche Aufgabe ist, mit den Aufgaben zu wachsen“ (7) – „Wer nicht mit sich im Frieden lebt, sucht sich einen äußeren Feind“ (9), so zwei frühe Beispiele. Dass man es überdies mit „Sentenzen“ zu tun hat, darauf verweist der Untertitel. Laut Duden ist die Sentenz ein „kurz und treffend formulierter, einprägsamer Ausspruch, der Allgemeingültigkeit beansprucht“. Literarisch umgesetzt, trifft das auf Sätze zu wie: „Die Empathie ist eine Gefühlsweisheit“ (8) – „Um die eigene Kindheit zu verstehen, benötigen wir den Rest unseres Lebens“ (13) – „Nostalgiker wünschen sich, dass es so wird, wie es nie war“ (18).

Man muss allerdings sagen: Dieses Niveau kann Meyer-Anaya an den wenigsten Stellen halten. Manches Psychologisierende wirkt verbraucht („Was lange gärt, wird endlich Mut“, 19), banal („Was Beziehungen spannend macht, sind besonders die Spannungen“, 24) oder ärger noch. Dazu passt, dass Meyer-Anayas Sprachwitz, der im dritten Abschnitt vorherrscht, eher etwas für einfache Gemüter ist: „Künstliche Gebisse haben eine Haftpflicht“ (32) – „Übergewichtige bekommen selten ihr Fett weg“ (ebd.) – „Die übelste Form der Stiftung ist die Brandstiftung“ (45). Und dass die „heißesten Schlachten […] häufig am kalten Buffet geschlagen [werden]“ (44), wusste Reinhard Mey bereits in den Siebzigern. Auch entstehen mitunter schiefe Bilder. Ein Beispiel: „Die Wahrheit ist auf den Schlachtfeldern die seltenste Pflanze“ (38).

Um dem Autor kein Unrecht zu tun: Seine Sentenzen und Aphorismen entbehren jeglicher Überheblichkeit und sind nah am Menschen. Gerade in den letzten beiden Abschnitten tritt sein schwarzer Humor offen („Das Totenhemd ist die letzte Unisex-Bekleidung“, 56) oder auch subtil („Selbstverständlich gibt es ein Leben nach meinem Tod, aber nur für die Überlebenden“, 57) zutage. Auch vor der Religion macht der Spötter in ihm nicht Halt: „Das älteste von mindestens sieben Kindern von Maria und Josef ging in die Glaubensgeschichte als Einzelkind ein“ (60). Und mit Sätzen wie „Jeder Krieg ist letzten Endes ein Glaubenskrieg“ (ebd.) und „Vermutlich liegt allem Glauben ein Irrglaube zugrunde“ (61) setzt er starke Schlussakzente. Insgesamt lädt der Band zum ‚Simmelieren‘ über Komik und Tragik der menschlichen Psyche ein – der Autor, der schon mit diversen Literaturpreisen ausgezeichnet wurde, könnte es aber auch besser.

 

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