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Jürgen Wilbert über:
Gottfried Pixner: Engelszungen und Teufelskrallen. Aphorismen und Sprüche. Leipzig: Engelsdorfer 2021.
Das neue Buch des Wiener Chemikers Gottfried Pixner beinhaltet auf 137 Seiten über 1200 „Aphorismen und Sprüche“ – so der Untertitel. Zuvor sind bereits vier Aphorismen-Bände von ihm erschienen, außerdem hat er als Freund humorvoller Texte viele Schüttelreim-gedichte und Limericks veröffentlicht. Im Untertitel seines neuen Bandes deutet der Autor bereits an, dass es sich nicht durchweg um „vollwertige“ Aphorismen handelt, sondern dass der Band auch die gesamte eher wortspielerische und witzige Palette der Sprüche und Bonmots umfasst. Auch vor Kalauern scheut der Autor nicht zurück, selbst der platteren Art: Sind Sie Theist? – Nein, Kaffee bekommt mir entschieden besser! (S. 18) / Sie lief ihm fort und er schwang sogleich die Single-Bells.(42) / Hundefreund: Bell-Ami. (38)
Immer wieder sind auch witzige Reime eingestreut. Dadurch wird natürlich die abwechslungsreiche Unterhaltungsnote unterstrichen. Darunter leidet allerdings die Quote der wirklich geistreichen und bissigen Denkanstöße. Diese hintergründigen Aphorismen werden m. a. W. von der eher banalen oder saloppen Witzabteilung überlagert. Vorzugsweise finden wir bei Pixner Variationen von Redensarten und Sprichwörtern, wie in diesen drei Textbeispielen: Auch Hunde, die nur kläffen, beißen gelegentlich! (18) / Auf leichten Schultern lässt sich nichts von Gewicht tragen. (44) / Vielleicht mindert ja das Brett vorm Kopf die schmerzhafte Kollision mit der Welt? (134)
Gemäß der ursprünglich etymologischen Bedeutung des Gattungsbegriffs formuliert der Autor seine Gedanken häufig in knappen Definitionen: Die schweigenden Mehrheiten sind die Scheintoten routinierter Demokratien. (31) Passanten: alles nur Leute von vorübergehender Bedeutung. (64) / Und: Spruchbandparolen sind aphoristische Kümmerlinge für Kurzzeit-Selbstdarsteller. (89)
Als erfahrener und versierter Aphoristiker beherrscht Pixner die gesamte Bandbreite der Stilmittel, ob Paradoxie oder Kontradiktion, ob Neologismus oder Metaphorik oder Prägnanz und Pointierung. Wer sich die Zeit nimmt, in diesem picke-packe-vollen Band zu stöbern, wird auf zahlreiche aphoristische Perlen stoßen. Hervorgehoben seien nur diese originellen und aussagekräftigen Kürzesttexte: Am sichersten überdauert das Unauffällige. (88) / Alterssünden: zwangsgeläuterter Abklatsch der Jugendtorheiten. (7) / Das fortschrittliche Heute verbrennt keine Bücher mehr – es schweigt sie zu Tode.(101)
So manche Wortneuschöpfung, so manches Wortspiel kommt doch etwas bemüht, folglich wenig überzeugend, daher, wie etwa hier: Migranten: Leute, die ihre Staatswürgerchaft hinter sich lassen wollen. (132) / Maxime erfahrener Denker: Cogito – ergo stumm! (107)
Hier ist wohl die „unstillbare Lust am Wortspiel“ (so das Zitat von Martin G. Petrowsky auf S. 138) mit dem Autor durchgegangen. Selbstbezüglich und -kritisch äußert sich Pixner an einigen Stellen über sein eigenes Schreiben, so auf S. 16: Man lehne sich gegen die Torheiten der Zeit auf – selbst wenn man ihr bloß eine Schrottladung bissiger Aphorismen auf den Pelz brennen kann. Als aufmerksamer Beobachter der Alltagsveränderungen durch den sog. Zeitgeist vermag es der Autor, mit seinen ernsthafteren Aphorismen beim Leser / der Leserin tiefergehende und weiterführende Gedanken anzustoßen, und sei es auch im Sinne praktischer Lebenshilfe: Ein waches Gefühlsleben ist der Garant eines erfüllten Lebens. (135)
Alles in allem sei die Lektüre dieses randvollen Buches auch ausgesprochenen Aphorismenfreunden und -freundinnen empfohlen, aber bitte nur in dosierter Form, um nicht in der „Springflut“ (siehe Klappentext) von Gedankentropfen zu ertrinken.
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