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Jürgen Wilbert über:
H.D. Gölzenleuchter: Stolperzeilen. Aphorismen mit Tuschezeichnungen. Historische Satz- und Druckwerkstatt, Flensburg 2021

 

Der Bildende Künstler und Autor H.D. Gölzenleuchter (Jahrgang 1944) aus Bochum legt hier seine erste rein aphoristische Publikation vor. Insbesondere durch seine Holzschnitte, Radierungen, Malereien und Stahlskulpturen sowie Herausgeber von Künstlerbüchern und graphisch-literarischen Mappen hat er sich weit über das Ruhrgebiet hinaus auch international einen Namen gemacht. Sein Aphorismenband mit eigenen Tuschezeichnungen ist in der Historischen Satz- und Druckwerkstatt erschienen. In seinem Nachwort bezeichnet Joachim Wittkowski die gelungene Zusammenarbeit mit dem Schriftsetzer Ulrich Messy und seiner Druckwerkstatt als: „eindrucksvolles Zeugnis engagierter Buchkunst.“

Die meisten Aphorismen Gölzenleuchters sind ebenfalls ein Zeugnis seines prononcierten gesellschaftspolitischen Engagements. Dafür steht stellvertretend diese aphoristische Definition gleich am Anfang: „Aphorismen: Für mich auch APO-Rismen.“ Der originelle Titel „Stolperzeilen“ nimmt ausdrücklich Bezug auf die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig, der mit seinen Stolpersteinen auf den Bürgersteinen nachhaltig auf die Naziverbrechen an der jüdischen Bevölkerung hinweist: „APHORISMEN: Stolperzeilen auf dem Papier. / Wie Stolpersteine in den Straßen, / gesetzt in der Hoffnung / auf Nachhaltigkeit.“

Manche der abgedruckten Gedankengänge und Aussagen sind bisweilen zu selbstredend, ja zu naheliegend, um die Lesenden produktiv „vor den Kopf zu stoßen“, wie zum Beispiel hier: „Auch Querdenker denken, die Frage ist nur, wann und was.“ / „Der Maßstab der Maßlosen: die Maßlosigkeit.“ / „Auch die spitzeste Feder, jeden Tag im Einsatz, kann stumpf werden.“ / „Was große Kunst ist wird nicht über die Kunst definiert, sondern über den Markt.“

Demgegenüber sind die folgenden Aphorismen wesentlich überzeugender, da sie eher „um die Ecke denken“ und somit auch zum Weiterdenken anstoßen: „Wenn ein Starker andere seine Stärke nicht spüren lässt, dann ist das stark.“ Oder: „Die Lüge kommt oft aufgedonnert / die Wahrheit ungeschminkt“ Im letzten Aphorismus wird die Botschaft noch durch Schriftsatz und Schrifttyp prägnant untermalt. Der Autor variiert gerne Redewendungen, um sie so auf eine neue Sinnebene zu heben, wie etwa in diesen Textbeispielen: „Krieg = der Weisheit letzter Schuss!“ / „Nur nachts träumen zu können, das ist zum Einschlafen.“ / „Manche Streithähne sind genau betrachtet Papiertiger.“

Als Resultat des kritischen Hinterfragens von „Worthülsen“ bzw. Floskeln überzeugen diese Textbeispiele: „Ihn plagte sein schlechtes Gewissen, lese ich. Müsste es nicht heißen: sein gutes?“ Und: „Die Begegnung mit dem Tod: Für die Rüstungsindustrie überlebenswichtig.“ Wittkowski ist in seiner Einschätzung zuzustimmen, dass Gölzenleuchters Zielrichtung zweifelsfrei darin besteht, „auf Unrecht und Inhumanes aufmerksam zu machen“. Dazu zählen bei ihm auch „klare Positionierungen gegen alles Kriegerische und die Rüstungsindustrie (…) wie gegen den Neoliberalismus“. Durchgängig ist bei ihm das Motiv des Widersprüchlichen, ja des Widerständigen zu erkennen: „Intelligenz ohne Vernunft degeneriert zur Dummheit!“ / „Neoliberalismus: Alles grenzenlos kaufen und verkaufen können. Auch Regierungen.“

Wie recht Gölzenleuchter doch hat in der Kritik des beiläufigen oder auch leichtfertigen aphoristischen Schreibens: „Flotte Sprüche, beim Weine aufgeschrieben, ergeben, nüchtern betrachtet, nicht immer einen Aphorismus.“ Sowie: „Ein Aphoristiker sagte mir, er fände seine Aphorismen auf der Straße. Das glaube ich ihm aufs Wort. Nicht wenige seiner Wortfindungen waren plattgefahren.“ Ferner: „Wortfindungen, im Halbschlaf aufgeschrieben, müssen nicht die aufgewecktesten sein!“

Am stärksten sind Gölzenleuchters Kurztexte, wenn sie in ihrer politisch engagierten Schärfe, Bildhaftigkeit und Paradoxie überzeugen: „Begegnen dem verunsicherten Volk nationalistische Sprüche und Fahnen, lässt es sich gern darin einwickeln.“ / „In der Bildenden Kunst und nicht nur da, kann die angepriesene Vielfalt verdammt einfältig sein.“ Oder mit Blick auf sein eigenes unermüdliches Schaffen: „Mit Geduld beschreibe ich meine Ungeduld.“ Gölzenleuchters Aphorismenband, bereichert durch die pointierten Zeichnungen aus seiner spitzen Feder, kann insgesamt als Beleg für diesen bilanzierenden Kommentar gelten:

„Wie in der Kunst,
so in der Literatur:
Auch das kleinste Format
kann durch Größe gewinnen.“

 

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