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Michael Wollmann über:
Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger: Paraphorismen. Paradoxe Aphorismen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2024.
Wenn Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger (*1939) in seiner neuesten aphoristischen Veröffentlichung „Paraphorismen“ mit dem erläuternden Untertitel „Paradoxe Aphorismen“ die Behauptung aufstellt: „Aphoristiker sind umweltbewusst: sie sparen Papier, Tinte und Worte.“ (S. 15), so formuliert er insofern bereits (wider Willen?) eine Paradoxie, da sein voluminöser, lexikalisch gestalteter Aphorismenband im Hardcover einen stolzen Umfang von 284 Seiten aufweist.
Der hochangesehene Chemiker im Ruhestand ist freilich kein Unbekannter in der zeitgenössischen Aphoristik: Aufsehen erregte vor einigen Jahren der Umstand, dass das Motto der deutschen Fußball-Weltmeisterschaft von 2014 „Ein guter Anfang braucht Begeisterung, ein gutes Ende Disziplin.“ einen Aphorismus von ihm zitierte, wobei er als Autor zunächst nicht genannt wurde. Erst ein Reporter wies ihn darauf hin, und es kam zu einer gütlichen Einigung mit dem DFB.
Nach den „Aphonitionen“ ist der Autor sich bei der Findung des Buchtitels treu geblieben, was die Wortneuschöpfung durch Verschmelzung (Quadbeck-Seeger nennt es „Sprachemie“) angeht. Seine paradoxen Aphorismen unter dem Titel „Paraphorismen“ sind nun also wieder im wissenschaftlichen Verlag Königshausen & Neumann erschienen.
Vorweg bekennt der Autor, bei der Buchveröffentlichung keine allzu strengen Kriterien angewandt zu haben, was die Auswahl an paradoxen Aphorismen angeht: „So finden sich auch manche Wortspiele und Oxymora dazwischen. Und wenn mein ostpreußischer Humor mit mir durchging, wurde bei nicht ganz astreinen Paradoxa auch mal ein Auge zugedrückt.“ (S. 5)
Um diese „nicht ganz astreinen Paradoxa“ aufzuspüren, genügen dem geneigten Leser bereits einige flüchtige Blicke zwischen den Stichworten von „Achilles-Ferse“ bis „Außerirdische“: „Das Kinn ist die Achilles-Ferse vieler Boxer.“ (S. 7); „Nirgendwo kleiden sich die Frauen so bunt und farbenfroh wie in Schwarzafrika.“ (S. 8); „Alkoholikerinnen haben morgens eine Katze.“ (S. 9); „Weibliche Formen lassen sich mit Sinus und Posinus beschreiben.“ (S. 12); „Astronauten können ihren Frauen nur etwas Vakuum mitbringen.“ (S. 17); „Nach neuesten Verschwörungstheorien könnten die grünen Männchen in den Fliegenden Untertassen verbannte Veganer von fremden Sternen sein, die Exil suchen.“ (S. 20).
Sinnbefreite Eingebungen dieser Art zeigen vielleicht eine besondere Art von „ostpreußischem Humor“ auf, doch sie stellen sicherlich keine philosophisch tiefgründigen Paradoxien dar, über die sich längere Zeit nachdenken ließe. Das ist insofern schade, da der Autor in seinem kundigen Vorwort beginnend mit dem Paradoxon des Epimenides einige bekannte Paradoxien aus Philosophie und Wissenschaft anführt. Zwischen dem wissenschaftlichen Hintergrund des Autors und seinem eigenen aphoristischen Verständnis klafft also eine enorme Lücke auf, die mit unzähligen Albernheiten, Kalauern und reinem Wortwitz überspielt wird.
Der betont humorige Anstrich der Sammlung wird im Buch freilich auch durch die vielen Illustrationen und Fotos unterstrichen. So wird auf Seite 25 beispielsweise eine beschädigte Parkbank als „Bad bank“ vorgestellt und auf Seite 218 lächelt uns die Mona Lisa mit folgenden Worten an: „Warum lächelst du so, Mona Lisa?“ – „Weil Leonardo da war.“ Nonsens-Liebhaber mögen Gefallen an einer solchen Verknüpfung von Bild und Text finden. Dass solche Einsprengsel keinen Ausweis einer ernstzunehmenden, paradoxalen Aphoristik darstellen, sollte allerdings auch klar sein.
Es lässt sich nicht leugnen, dass der Autor bei allem Humor auch ein Verständnis für etwas tiefgreifendere Paradoxien innehat. Hierfür einige Textbeispiele: „Das Elend kennt mehr Varianten als das Glück.“ (S. 53); „Großes Geltungsbedürfnis verlangt Anstrengungen, die Besseres verdient hätten.“ (S. 87); „Idealismus ist jedem zugänglich, aber nur wenige können ihn sich leisten.“ (S. 110); „Der Kapitalismus schließt jede Bedarfslücke, die zu schaffen er in der Lage ist.“ (S. 118); „Wer das Nichts sucht, hat Erfolg, wenn er nichts findet.“ (S. 164); „Wenn die Politik ein Problem nicht lösen kann, wird es subventioniert.“ (S. 218)
Dass gehaltvollere Aphorismen dieser Art schon etwas gezielter im Buch gesucht werden müssen, zeigt das Problem der voluminösen Veröffentlichung auf: Einerseits bietet der Band aufgrund der lexikalischen Verschlagwortung einen guten Überblick. Wer gezielt Aphorismen zu bestimmten Themen sucht, wird (vielleicht) eine Paradoxie entdecken, die des weiteren Nachdenkens würdig wäre.
Wer sich hingegen vornehmen sollte, das Buch von A bis Z durchzuarbeiten, um aphoristische Perlen aufzuspüren, wird sich zunächst einmal durch einen Berg an Nonsens quälen müssen und sich etwas ver-albert vorkommen, wenn er im Sonderkapitel „Paradoxa der Wissenschaft“ beispielsweise Quadbeck-Seegers erste Anmerkung zu Albert Einstein liest: „Zu dem weltbekannten Bild mit der herausgestreckten Zunge: Hier albert Einstein.“ (S. 278)
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