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Elisabeth Turvold über:
Hiltrud Schinzel: Aphorismen. Nachtgedanken und Schüttelreime für Flaschengeist Huch! Norderstedt: Selbstverlag 2024.

 

Ein Kinderbuch? Nein. Der Flaschengeist „Huch!“ steht – ob der menschlichen Unvernunft – für einen Ausruf unwillkürlichen Staunens. Immerhin – das Verspielte und Vergnügliche liegen der Autorin, die sich selbst als „betagt“ (77 Jahre, E.T.) bezeichnet, nahe. So gibt sie etwa in ihrem Vorwort an, „DADA-Liebhaberin“ zu sein. Das Ziel, das sie mit ihren Aphorismen, Nachtgedanken und Schüttelreime[n] verfolgt, ist es, „möglichst breit gefächert meist augenzwinkernd und bisweilen in paradoxaler Übertreibung Reflexionen zum Heute für diversifizierte Mägen verdaulich anzubieten“. Dabei will sie erklärtermaßen auch dem Banalen Raum verschaffen, „[d]a es wie jede Information weisheitsfördernde Anregungen enthält“ (Vorwort).

Schinzels Buch ist in drei Teile gegliedert: Der erste Teil versammelt, und zwar alphabetisch (nach Stichwörtern) geordnet, ‚echte‘ Aphorismen. Der zweite Abschnitt, der ebenfalls alphabetisch zusammengestellt ist, gilt dem, was die Autorin „Nachtgedanken und Schüttelreime“ nennt, Absurd-Gereimtem und Sinnig-Nachdenklichem. Die dritte Passage enthält unter der Überschrift „Warum Kunst und Paradies eins sind“ einen Essay, der im weitesten Sinne von ‚Gott und der Welt‘ handelt. Der Band ist mit bezaubernden kleinen Federskizzen illustriert, meist abstrahierte Gesichter oder Körper. „Körper zeichnen ist Streicheln mit Stift und Pinsel“ (21), heißt es denn auch passenderweise unter dem Gliederungspunkt „K“. In den Bildern manifestiert sich der berufsspezifische Hintergrund der Autorin: Sie ist von Hause aus Restauratorin, Kunsthistorikerin und (Bildende) Künstlerin.

Schaut man in formaler Hinsicht auf die Texte des aphoristischen Teils, fällt auf, dass die Punkte am Satzende, ja, überhaupt die Satzzeichen, vielfach – aber nicht immer – fehlen, eine recht undurchsichtige Zeichensetzungspraxis. Das Auslassen der Punkte spricht den Sätzen allerdings eine Aura zu, die sie überwiegend nicht haben. Flüchtigkeitsfehler sind ebenfalls zu beklagen, worin sich das Manko eines Selbstverlages äußert: Es fehlt das kritische Lektorat. Durch die alphabetische Anordnung kommt es vor, dass Sätze mit dem gleichen Thema unmittelbar hintereinander abgedruckt sind, etwa „Dummheit“ (4-mal, S. 11), „Fehler“ (4-mal, S. 14), „Kunst“/„Künstler/„Kunstwerke“ (6-mal, S. 23) und „Wahrheit“ (4-mal, S. 42). Man kennt dieses Verfahren aus großen Blütenlesen; für einen aphoristischen Einzelband wünschte man sich jedoch mehr ‚Unordnung‘.

Inhaltlich ist die aphoristische Offerte Schinzels von gemischter Überzeugungskraft. Man findet darin Statements wie: „Globale Probleme kann man nicht national lösen“ (17). Oder: „Im Verhältnis zu anderem Leben auf der Erde ist Homo Sapiens eine Spätgeburt“ (24). Die Aussagen mögen berechtigt sein, aber ein künstlerischer Anspruch ist dahinter nicht aufzuspüren. Auch ist sie nah am Politischen unterwegs, was sich in Sätzen manifestiert wie: „Noch während der Sintflut streiten die Politiker um die Finanzierung der Arche“ (34). Ihr Hang zum Humorigen kann sich zuweilen in ‚Sponti-Sprüchen‘ entladen: „Lieber eine flotte Omi als ein junger Halunke und besser junges Gemüse als verschimmelter Sauerteig“ (28). Man findet indes auch aphoristischen Feinsinn: „Der Glaube an das Schlechte im Menschen kann angenehme Überraschungen bescheren“ (26) – „Die dunkle Nacht spuckt Ideen aus, die das Tageslicht zum Umsetzen brauchen“ (27) – „Zur Regulierung der Glücksgefühle ist Unglück unverzichtbar“ (39) Scheinbar einfache Sätze wie „Elend teilt man lieber als Reichtum“ (13) oder „Vielleicht ist Freiheit nur im Sterben erlebbar“ (15) haben es auf dem zweiten Blick in sich. Die weitere Lektüre ist Stöbern.

Insofern als die Autorin die Rezension als „Psychogramm des Rezensenten“ (32) begreift, bittet die Rezensentin um Nachsicht. Mit Hiltrud Schinzels eigenem, eingangs formulierten Anspruch auf „weisheitsfördernde Anregungen“ lässt sich schlussendlich ein – wohlbemerkt tadelloser – Satz aus ihrem aphoristischen Reservoir anführen: „Solange er nicht lügt, hat jeder Mensch ein Recht auf seine Wahrheit“ (42).

 

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