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Jürgen Wilbert über:
Horst A. Bruder: EinSpruch. Düssseldorf: Edition Virgines 2021.

 

Im März 2021 ist ein neuer Aphorismen-Band von Horst A. Bruder erschienen. Der Autor wurde 1949 in Porta Westfalica geboren, lebt seit geraumer Zeit in Grünstadt (Rheinland/Pfalz) und ist in Aphoristiker-Kreisen kein Unbekannter: Er hat seit über dreißig Jahren Aphorismen in Zeitschriften, Anthologien und Büchern veröffentlicht und zählte 2010 zu den ersten Preisträgern im Aphorismen-Wettbewerb des Deutschen Aphorismus-Archivs zum Leitthema „Gedanken-Übertragung“. In der Würdigung seiner Beiträge, die den zweiten Platz erlangten, heißt es u. a.: Die Jury war „von der Leichtigkeit angetan, mit der hier altbewährte aphoristische Mittel auf einen neuen Einblick variiert werden, so die Paradoxie auch in >Wer sich verstellt, gibt sich zu erkennen< …“ (so in der Wettbewerbs-Anthologie, Bochum 2011). Ferner werden von den Juroren der Sprachwitz und das Spiel mit Satzrhythmus und Klang hervorgehoben.

Im Vorwort zu seinem neuen Band (zuvor erschienen „GegenSätze“, „TriebFeder“ und „DruckStellen“) gibt Bruder einen kurzen, verständlichen Abriss über die Herkunft und die Kennzeichen des Aphorismus wie Kürze, Widerspruch, Übertreibung: „Die radikale Attacke alter, verfestigter Denkmuster ist dabei seine stärkste Waffe.“ (S. 7) Was das Leseverhalten betrifft, rät er zu einem gleichsam medizinischen, dosierten Umgang, da ihm Aphorismen „nur in kleinen Rationen bekömmlich“ erscheinen. Seine Hauptintention wird knapp und zugleich (allzu?) bescheiden umrissen; es geht ihm hauptsächlich um einen „noch so winzigen Perspektivwechsel bei dem einen oder anderen Leser“ (S. 8).

Der Titel des Buches „EinSpruch“ steht in der Tradition der vorangegangenen Buchtitel und erinnert in der Wortwahl an eine Veröffentlichung von Elazar Benyoetz aus dem Jahr 1973: „Einsprüche“. Wie gewandt Bruder mit den verschiedenen Stilformen umgeht, mögen einige Textbeispiele belegen. Hier geht es um den Aspekt des Vergleichens im Aphorismus: „Menschen verehren das Große – nicht das Größere“ (S. 10) / „Glücklich zu werden bedarf einer geringeren Anstrengung als es zu bleiben“ (11). Die Figur des (scheinbar) Paradoxen taucht mehrfach auf: „Andeutungen gehen zu weit“ (11) / „Eigenwilligkeit führt zum Verlust des eigenen Willens“ (22) / „Das Jenseits wird geglaubt, weil das Diesseits unglaublich ist“ (34) / „Das meiste, das wir wissen, haben wir nie gelernt“ (43). Die Überkreuzstellung (den Chiasmus) beherrscht der Autor in besonderem Maße: „Der Herzstillstand fordert weniger Opfer als der Stillstand des Herzens“ (16) / „Der Liebe gehen die Worte aus – und den Worten die Liebe“ (20). Bei zu häufiger Verwendung dieses markanten Stilmittels gerät ein Autor jedoch in die Gefahr, dass die Aussagekraft des Textes nachlässt und die Sätze zu konstruiert wirken.

Der Autor setzt sich in seinen Aphorismen mit einer Fülle von menschlichen Existenzfragen auseinander: mit Leben und Tod, Natur und Umwelt, Glaube und Unglaube, Gesellschaft und Politik oder Krieg und Frieden. Am überzeugendsten sind seine Denkanstöße, wenn sie prägnant sind und mit einer gleichermaßen überraschenden wie erhellenden Pointe enden. Dazu drei Belege: „Den Unterschied zwischen Gut und Böse nehmen wir zur Kenntnis – mehr nicht“ (35) / „Neugierige sterben gelassen“ (57) / „Manche Menschen gehen nicht durchs Leben – sie begleiten sich nur“ (50). Die Figur der Antithese führt mitunter zu einer verblüffenden Einsicht: „Es verwundert, wozu ein Mensch nicht fähig ist, wenn er Macht hat“ (31). So manche Metapher stärkt ebenfalls die Aussagekraft: „Der Natur gehen die Dolmetscher aus“ / „Die Zuversicht ist ein Mantel der Angst“ (beide S. 25). Einige Aphorismen zeugen davon, wie der Autor das Zwischenmenschliche genauestens beobachtet und sprachspielerisch entlarvt: „Es ist tröstlicher nicht bemerkt als nicht beachtet zu werden“ (49) / „Der Satz > Das spielt keine Rolle< verrät, was wir spielen“ (73). Das Umweltphänomen der „Lichtbelästigung“ bringt er so lapidar wie überzeugend auf den Punkt: „Der Nacht wurde die Dunkelheit gestohlen“ (14). Bei einer Gesamtzahl von weit über 300 Einzelsätzen oder „EinSprüchen“ kann es nicht verwundern, dass der/die Lesende auch auf schwächere Gattungsexemplare trifft, in denen das gewählte Bild banal oder schief wirkt: „Die Mode der Pfauenräder ist abgelöst durch die Mode der Autoräder“ (56). Und beim folgenden paradoxen Aphorismus stellt die Frage, ob die Aussage nicht eher für die Toten zutrifft: „Ewiger Frieden ist nur den Lebenden möglich“ (27).

Was die Zeichensetzung betrifft, so verzichtet der Autor bisweilen auf ein Komma und durchweg auf den Schlusspunkt, als möchte er dadurch zum Ausdruck bringen, dass er bewusst den angestoßenen Denkprozess offen halten möchte.
Sehr positiv fällt ins Auge, dass das Buch sieben surrealistisch inspirierte Bilder (in Magritte-Manier) des belgischen Künstlers Jos de Mey (1928-2007) enthält, die ähnlich wie Aphorismen Rätsel darstellen, die vom Lesenden gelöst werden sollen. Man könnte sich durchaus ein Bild als Bereicherung des reduzierten Covers vorstellen.

Der neue Band von Horst A. Bruder bietet insgesamt eine thematisch große und abwechslungsreiche Fülle von Denk-Anzettelungen, die eine anregende und bereichernde Lektüre für sprachbewusste Menschen verspricht. Erfreulicherweise hat der Autor ausreichend Platz (zum Luftholen und Weiterdenken) zwischen den einzelnen Aphorismen gelassen Zum Leseverhalten abschließend noch eine Anmerkung von ihm (S. 42), die uns Lesende kritisch-konstruktiv zur Selbstreflexion anstiftet: „Ich habe noch kein Buch gelesen, das nicht von mir handelt.“

 

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