zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Jürgen Wilbert über:
Klaus D. Koch: „Unterm Strich auf den Punkt“, Edition Temmen – Bremen 2023; ergänzt um Anmerkungen zum „Duell der Aphorismen – Worte gegen Gendergaga“, Edition Temmen – Bremen 2021

 

Klaus Dietrich Koch (Jahrgang 1948) zählt zu den Aphorismen schreibenden Medizinern; seit den 1990er Jahren sind über ein Dutzend Bücher von ihm erschienen, in der Regel als Hardcover in kleinerem und schmalerem Format, jeweils mit witzigen Illustrationen von Feliks Büttner. Hinzu kommt 2018 das „GROSSE >KOCH<BUCH“, das auf 370 Seiten neben Aphorismen auch Gedichte und Anekdoten umfasst; es erschien zu seinem 70. Geburtstag. Koch zeichnet auch für die Internet-Plattform www.aphorismus.de verantwortlich. Hier möchte ich mich in erster Linie mit seinem jüngsten Werk, vorzugsweise mit seinen Aphorismen, beschäftigen, es beinhaltet auf knapp 100 Seiten auch Epigramme und Gedichte. In der Einleitung (aus dem Sommer 2023) beklagt der Autor „die zunehmende Intoleranz kulturbeflissener Theatergänger. Am liebsten würden sie alles nach dem Munde geredet bekommen. (…) Die Kategorie gesunder Menschenverstand muss wohl wieder neu entdeckt werden.“

In gewohnt versierter Manier variiert er gängige Redensarten und Topoi, um ihnen sprach- und gesellschaftskritische Einsichten abzugewinnen; man vergleich diese Textbeispiele: „Im Westen nichts Neues. Im Osten nichts mehr wie es war.“ / „Das Parlament wurde ruhiggestellt. Die Mundtoten haben überlebt.“ (S. 8 & 9) Oder als aktuelle zeitkritische Kommentare zu lesen: „Wie viel TNT darf man verwenden, wenn man für den Frieden ist?“ (9) Und: „Die Wahlversprechen kollidierten mit der Wirklichkeit. Man wählte die nächsten Versprecher.“ In alter Klaus Staeck-Tradition des Agitprop prangert er manche Zeitphänomene plakativ an: „Linke Luftschlösser stehen überall herum, nur nicht in den Arbeitervierten.“ (13) Koch zeigt sich insbesondere als Meister der Pointe: „Er hat es zur Sprache gebracht. Jetzt droht ihm das Ausschweigen.“ (27) / „Unter lauter Aufsteigern wird das Sitzenbleiben zu einer Charakterfrage.“ (78) / „Wer zu viel sieht, bekommt Aufseher.“ (75) In Lec´scher Art und Weise überzeugen solche pointierten Kürzesttexte: „Die Gedanken formten das Gehirn. Es wurde ganz schön faltig.“ (62) / „Das Rad der Geschichte hat auch die Zeitzeugen überrollt.“ (61) Man beachte bei ihm auch die bereits bei Lec anzutreffende Vorliebe für die Thematik des Kannibalismus, im „Großen Koch-Buch“ sogar als eigenes Kapitel (S.181-185) ausgewiesen.

Was speziell die Themen Frauen und Männer sowie das Gendern betrifft, da scheut er auch nicht vor politisch non-konformen Ansichten zurück: „Die Männer verhüllen sich nur wegen der Frauen ein bisschen. Nach me too blieb nur noch ein Waschlappen als Tarnung übrig.“ (69) Zudem wird bei ihm so manches Mal der Aphorismus vom Kalauer überwältigt: „So eine schleimige Rede. Beinahe hätte er seine Prothese verschluckt.“ (53) Und als eigner Buchtitel: „Der Hafen der Ehe wimmelt von U-Booten.“ Bisweilen bewegen sich seine Texte auch schon mal in Richtung Gürtellinie: „Die Egozentrikerin geht in sich. Schon juckt es unterhalb des Nabels.“ (30) „Halt die Leute mal bei der Stange, wenn die Vorhaut fehlt.“ (57)

Besonders vehement zieht Koch gegen den „Genderwahn“ zu Felde, namentlich in seinem vorangegangenen Büchlein „Duell der Aphorismen – Worte gegen Gendergaga“ (2021). Da heißt es unmissverständlich in seiner Einleitung: „Unsere deutsche Sprache wird gegenwärtig massakriert. Unter dem Vorwand einer gerechteren oder geschlechtsneutraleren Form wird auf Teufel komm raus unsere Sprache (…) deformiert, vergendert, verdreht und entwertet.“ (4) Im Innenteil läuft dann Koch aphoristisch-(real)satirisch zur Höchstform auf: „Nach der gendergerechten Begrüßung von Hinz und Kunz, von Krethi und Plethi und den anwesenden Gästinnen und Gästen, sowie den Eltern und Elterinnen war die Redezeit vorbei. Jetzt bleibt nur noch das Schweigen der Lämmerinnen.“ (8) Zeitgeist-kritisch ist der folgende kürzere Aphorismus gerichtet: „Das Piercing ist leidlich gelungen. Sie hält sich jetzt für den Nabel der Welt.“ (46)

Am besten gefallen mir seine Aphorismen, wenn sie möglichst knapp und ambivalent formuliert sind, zum Beispiel wie die folgenden: „Die Wende war nur das eine. Man musste auch noch die Kurve kriegen.“ (74) / „Es ist fünf vor Zwölf. Die meisten bekommen jetzt Hunger.“ (Großes Koch-Buch, Bremen 2018, S. 206) Denn das zeichnet nach eigener Aussage ja gerade den Aphorismus aus: „Im Gegensatz zum Sprichwort geht ein Aphorismus nicht in Fleisch und Blut über. Er bleibt also im Kopf.“ (68) Im Kopf wird mir u.a. diese prägnante aphoristische Definition Kochs aus dem Nachwort zum jüngsten Band „Unterm Strich auf den Punkt“ (93) bleiben: „Der Aphoristiker beherrscht die Kunst des Weglassens. Dem ist nichts hinzuzufügen.“

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen