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Friedemann Spicker über:
Michael Klonovsky: Aphorismen und Ähnliches. Durchgesehene und vermehrte Ausgabe. Wien, Leipzig: Karolinger 2020.

 

Zwei nötige Vorbemerkungen:

1. Ich habe die erste Auflage dieses Buches nach Erscheinen 2014 rezensiert (Lichtenberg-Jahrbuch 2014, S. 232-234) und werde hier, im anderen Medium und für ganz unterschiedliche Leser, einiges kurz wiederholen müssen, im Übrigen aber mein Augenmerk auf das Verhältnis der beiden Auflagen und die neuen Texte richten.
2. Kostenlose Werbung ist das Beste, was einer Institution passieren kann. Klonovsky bietet sie uns in seinem Vorwort mit diesem „Anekdötchen“:

„Anfang 2016 bat man mich als Referenten zu einer Veranstaltung: Der Förderverein des „Deutschen Aphorismus-Archivs“ (DAphA) und die Stadt Hattingen luden zum – übrigens 7. – Aphoristikertreffen. (Ein Aphoristikertreffen belegt auf der intellektuellen Skurrilitätenskala nach dem Philosophenkongress und vor dem Zirkel schreibender Arbeiter den zweiten Platz.) Mein Vortrag war mit dem Titel angekündigt: „Der Aphorismus als Überdruck-Ventil und literarisches Mittel, dem Würgereiz rasch noch zuvorzukommen“. Aus Gründen, die mir so klar waren, dass ich für diese Rede nie eine Zeile geschrieben habe – sie hatten mit meinem zwischenzeitlich erfolgten Wechsel aus dem Journalismus in die Politik zu tun – wurde ich rechtzeitig wieder ausgeladen. Der Titel erfuhr also seine Bestätigung, und er erfährt sie mit enervierender Regelmäßig­keit.“ (S. 5f.)

Das ist zutreffend. Als wir Kenntnis bekamen, dass der Autor für die AfD tätig ist und wir statt einer fachlich-kritischen Auseinandersetzung im Rahmen einer literarischen Tagung eine vornehmlich  politische Instrumentalisierung zu befürchten hatten, haben wir von der Einladung Abstand genommen. (Seit  Februar 2018 ist er lt. Wikipedia persönlicher Referent des AfD-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Alexander Gauland.) Uns im Übrigen den 2. Platz nach einem Philosophenkongress zuzubilligen, ist allerdings der Ehre zuviel, selbst auf einer „intellektuellen Skurrilitätenskala“. Mit diesem herausgestellten Zitat sind wir schon mitten in der kritischen Auseinandersetzung mit der, darf man sagen: skurrilen Intellektualität des Autors.

Die Grundrichtung ist unverändert: aus deutsch-nationaler Gesinnung heraus gegen Sozialismus, Feminismus, „68“, Europa, eine drohende muslimische Invasion, den politischen Mainstream, das ökologisch bewusste Gutmenschentum, Demokratie und Parlamentarismus, kurz: das ganze „Merkeldeutschland“ (140). Das Feindbild stellt verstärkt namentlich der oder die „Linke“ dar (129, 131, 133, 143, 144, 145): „Der Linke kann nicht Demokrat sein, ohne zu verfolgen.“ (S. 134) „Vermehrt“: das bedeutet, dass die Ausgabe bis S. 127 (1. Auflage S. 123) und am Schluss (S. 148f. neu = S. 125 alt) textgleich mit der ersten ist; die Seiten 128 unten bis 148 oben sind neu, also 19 von 138 Seiten Text, knapp ein Siebtel. „Durchgesehen“: das bedeutet, dass der Autor an grenzunterschreitenden Geschmacklosigkeiten von der Art: „Wer sich allzusehr feminisiert, ob Mann oder Frau, sollte sich nicht wundern, wenn er schließlich auch gefickt wird.“ (1. Aufl. S. 25; 3. Aufl. S. 29) festhält.

Die entscheidende Frage heißt: Wie ist der relative Erfolg des Buches (3. Aufl.) zu erklären, liegt er auf der politischen oder auf der literarischen Ebene? Beginnen wir mit den Vorworten. In der „Vorbemerkung zur ersten  Auflage“ kokettiert der Autor: „Neu und originell ist hier nichts.“  (S. 8) Die Universalbehauptung („nichts“) soll und wird ein kurzer Blick als falsch erweisen. Im „Vorwort zur zweiten Auflage“ schreibt er, dass ein Zehntel der Texte „gen Obsoletheit abschwirrt“, sagen wir in gebotener Schlichtheit: veraltet ist, ein weiteres Zehntel „einer gewissen Klassizität entgegenstrebt“ (S. 7), sagen wir: bei einem der großen Gattungsautoren erfolgreich in die Lehre gegangen ist. (Das sind die Karl Kraus ebenbürtigen, die es in der Tat gibt: „Menschen, die nach Bewunderung verlangen, sind bloß nicht eitel genug.“, S. 142) Die abschwirrende Obsoletheit, das einer „gewissen“ Klassizität Entgegenstreben“: sie zeugen schon hier von einem gespreizten Stil, der gewissermaßen auf ‚Budapestern‘ daherschreitet: Klonovsky beweist damit einen intellektuellen Elitarismus „von leidlichem Geschmack“ („Demokratie bedeutet, daß ein Mensch von leidlichem Geschmack immer und in jeder Sache überstimmt wird.“, S. 14), der sich seines „Ranges“ bewusst ist: „Seinen Rang  nicht zu kennen, ist eigentlich ein Makel. Man hat ihn zum Menschenrecht erhoben.“ (S. 143) Dieser wird mit Gottes Hilfe beansprucht: „Gott ist so fair, viele Minderbegabte gegen die Erkenntnis des Vortrefflichen zu immunisieren.“ (S. 146)

Im aktuellen Vorwort reflektiert er, der sich zu den ‚Mehrbegabten‘ zählt, eingangs „die Beliebtheit von Aphorismen“. Sie sei

„kein bisschen rätselhaft. Sie sind immer einseitig, besserwisserisch, anmaßend, im Idealfall elegant, boshaft und beleidigend, außerdem lesen sie sich, wenn man sie nicht überdosiert, schnell weg. Und man kann sie twittern. Für denjenigen, der sie macht, kommt noch das Privileg dazu, im Bedarfsfalle seine Galle absondern zu dürfen.“

Die notwendig kurze Diskussion dieser Definition zeigt ein weiteres Merkmal seiner Denk- und Schreibweise: Dass der Aphorismus in seiner knappen Pointiertheit „einseitig“ ist, bedeutet nicht, dass er sich „besserwisserisch“ zeigen muss. Dass er mitunter „boshaft“ ist, bedeutet nicht, dass es zu seinen Kennzeichen gehört, „beleidigend“ zu sein. Dass er kurz ist, bedeutet nicht, das er sich „schnell weg“ liest, im Gegenteil: Er aktiviert zum Zeit beanspruchenden Weiter- oder Gegendenken. Der Aphorismus ist ohne Zweifel „anmaßend“, aber deshalb nicht überrumpelnd, eine falsche Weiterführung, wie man sie auch in einem Blog Jürgen Werners finden kann:

„Der arrogante Aphorismus. – Die Arroganz des Aphorismus besteht darin, dass er sich anmaßt, keinen Text zu brauchen, sondern den Anspruch erhebt, in einem Satz alles zu sagen. Er sucht nicht das Gespräch, sondern die Überrumpelung.“

(Das „Privileg“, „Galle absondern zu können“, das er verleiht, mag dem Autor eine entscheidende Motivation sein; es entzieht sich allerdings literaturtheoretischer Diskussion.)

Die Grundstruktur dieser Vermischung von Zutreffendem und Nichtzutreffendem ist die Überspitzung (von „einseitig“ zu „besserwisserisch“, von „boshaft“ zu „beleidigend“). Nun ist die Überspitzung im Prinzip eine genuin aphoristische Technik. In diesem speziellen Fall stellte sich dem Rezensenten aber schon 2014 die Frage, ob es eine unzulässige Überüberspitzung gebe. Nur eine weitere solcher Grenzfragen, zu denen Klonovsky provoziert und die in den stilistisch-moralischen Bereich zielen, sei hier diskutiert: Gibt es Grenzen des zulässigen Vergleiches? Wo lägen sie? „Gleichstellung: anderes Wort für Entdifferenzierung. Antirassismus: anderes Wort für Haß auf Weiße.“ (S. 144) Das ist – noch innerhalb dieser Grenzen – eine aphoristische Definition, wie sie nach Ambrose Bierces „Wörterbuch des Teufels“ und seinen vielen Nachfolgern eine ganze Untergattung innerhalb des Aphorismus bildet. Außerhalb der Grenzen des Vergleichs liegt es auf der Rechten, wenn man den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnet („Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte.“, Gauland), nicht anders als auf der Linken, wenn Alfred Andersch – um  ein älteres Beispiel zu zitieren – in seinem Gedicht „artikel 3 (3)“ die Praxis des Radikalenerlasses mit einer „maschine“ assoziiert, „die gas erzeugt“, und erklärt: „das neue kz ist schon errichtet“. Das Tückische hier wie dort: der nicht bedachte Umkehrschluss. Aber statt einer längeren Erörterung der in einer Rezension notwendige konkrete Zugriff: „Die Liebe zur Natur ist ein Stockholm-Syndrom.“ (S. 147) So der Autor. Und sein Leser fragt sich: Die Natur als Entführerin? Menschen, die sich angesichts unendlich vieler empirischer Belege der Zerstörung zu Bewahrern der Schöpfung aufgerufen sehen, als Opfer einer Geiselnahme, die ein positives Verhältnis zu der Natur, ihrer Entführerin, aufbauen?

Bleiben wir im Vorwort: „Früchte des Ekels“ nennt der Autor seine Kurztexte. Das sind sie augenscheinlich, aber „näherhin: Früchte des ästhetisierten Ekels“ (S. 6)? Das trifft eben genau für eine Vielzahl dieser Texte nicht zu, die Meinungsäußerung ohne ästhetischen Mehrwert sind. „Das Grundgesetz muß so lange geändert werden, bis es keine verfassungsfeindlichen Stellen mehr enthält.“ (S. 140) Das ist, im Sinne von Kraus („Wer Meinungen von sich gibt, darf sich auf Widersprüchen nicht ertappen lassen. Wer Gedanken hat, denkt auch zwischen den Widersprüchen.“), „Meinung“, nicht „Gedanke“, es denkt nicht „zwischen den Widersprüchen“, sondern aus eben „besserwisserischer“ Gewissheit heraus werden begründungslose Thesen (genauer: in der „Gesinnung“, nicht in der Sache begründete) formuliert:

„Es gibt keinen niedrigen Beweggrund, der nicht in eine linke Gesinnung münden könnte.“ (S. 142)

„Wo Landesverrat Staatsräson ist, verwandelt sich Patriotismus automatisch in Rechtsextremismus.“ (S. 145)

Es sind dann nicht „Aphorismen“, es ist „Ähnliches“; der klug Alternatives versprechende Titel lässt ja beides zu. Das mag der „Schamott“ des Vorwortes sein („während der Rest ohnehin Schamott war, ist und bleiben wird“; „der Glut zuliebe geht nun auch der Schamott in die dritte Auflage“, S. 7). Um im Bildbereich zu bleiben: Hier schürt, „der Glut zuliebe“, ein Autor, der das oberste demokratische Gebot „one man – one vote“ ablehnt und angreift, massive stammtischver­trägliche Ressentiments: „Kein noch so degeneriertes Adelsgeschlecht hätte Kretins hervorbringen können, wie sie heute in jedem Parlament anzutreffen sind.“ (S. 19) Das ist zum Teil Sarrazin, in Kurzformen übersetzt: „Ein Land, in dem der durchschnittliche IQ sinkt, wird täglich reifer für eine autoritäre Herrschaft.“ (S. 141) „Eine erdrückende Minderheit der Deutschen lehnt die Sarrazin-Thesen ab.“ (S. 82) „Ästhetisiert“? Eine Behauptung ohne jede empirische Grundlage wird mit einer mechanischen Umkehrung verbunden, die deshalb mäßig witzig wirkt. „Immer mehr Deutsche werden Anaphabeten, lesen wir in den Medien. Tatsächlich ist es umgekehrt.“ (S. 146)

„Ästhetisiert“? Erkennbar wird „immer mehr“ ein Muster: „Immer mehr Schmeißfliegen wehren sich gegen Vergleiche mit Journalisten.“ (S. 84); „Immer mehr Menschen sind geistlich behindert.“ (S. 15)

Um die Frage nach dem Grund seines Erfolgs aufzugreifen: Wenn ich 2014 resümierte, es spreche bei aller berechtigten Kritik vergleichsweise für Klonovsky, dass sein Band derart detailliert kritisches Unterscheidungsvermögen fordere, so muss ich nach wiederholter Auseinandersetzung jetzt die notwendige Ergänzung hinzufügen: Es spricht gegen ihn als Aphoristiker, dass er in zu vielen Fällen aphoristisches Schreiben und politisch-agitatorischen Journalismus in unzulässiger Weise vermischt und verwechselt.

 

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