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Jürgen Wilbert über:
Reinhold Aumaier: Nach mir die Sinnflut. Wien: Klever 2023.

 

Reinhold Aumaier, geboren 1953 in Linz, studierte Germanistik und Musik. Seit 1976 ist er freischaffend als Schriftsteller und Komponist tätig und hat zahlreiche Preise erhalten, unter anderem den Landeskulturpreis für Literatur des Landes Oberösterreich. Nach längeren Wien-Aufenthalten lebt er in Lembach (Oberösterreich). Der Autor hat schon viele Aphorismenbücher veröffentlich, so zuletzt im Klever Verlag „Warum“ (2018) und „Im Schatten wird man klug“ (2020). In diesem Wiener Verlag ist nun der Band „Nach mir die Sinnflut“ erschienen; er umfasst sage und schreibe über 2800 Aphorismen. Laut Klappentext „reflektiert (er) über seine Herkunft (…), über die ersten Dinge (…) wie auch über die letzten (Verwesensverwandschaft)“. In der Tat ist das Themenspektrum sehr weit aufgefächert. Dem Leser / der Leserin wird bei der Lektüre einiges abverlangt, zumal es keinerlei inhaltliche Strukturierungshilfe gibt. Wer sich der Mühe unterzieht, diesen randvollen Band insgesamt durchzuarbeiten, wird durch viele originelle aphoristische Kurztexte, darunter auch einige „Sprachperlen“, belohnt. Dazu sind im Folgenden exemplarisch ein paar Beispiele aufgeführt.

Man findet vor allem eine Fülle kreativer Variationen von Redewendungen, gängigen Spruchweisheiten und Floskeln: „Das gewitzte Etwas“ (10); „Aufopferungsvolle Tätlichkeit“ (11) ; „Stets auf der Höhe seiner Zeit zu sein heißt … sich fortwährend heuten zu können.“ (271) Sehr gelungen, wie er die eine oder andere Floskel entlarvt: „Eine der hirnrissigsten … Sportarten: jemandem etwas verdenken.“ (275). Manche seiner Wortspielereien erscheinen hingegen etwas zu sehr „an den Haaren herbeigezogen“, wie etwa hier: „Jene, die wider die eigene Gesundheit sündigen oder der unreife Umgang mit dem WiderlICH.“ (130) Im Klappentext wurde immerhin schon gewarnt. „Er (der Autor) schreckt nicht vor dem Kalauer zurück …“. Gleich der erste Text lautet: „Erschiene einem plötzlich alles blausibel, bräuchte man keine anderen Farben mehr.“ (5) Ähnlich konstruiert und wortverspielt ist die folgende Definition: „Die Sintflut. Auch: Endwässerung.“ (12) Oder: „Das gerochene Wort““ (13) Demgegenüber stoßen wir aber auch auf tiefsinnigere Beispiele: „Ein selbstverstimmtes Leben“. (6) Oder: „Verhängnisverhütung – das wär´s!“ (12)

Neben solchen kurzen und kürzesten Texten (häufig auch Ein-Wort-Aphorismen) enthält der Band auch eine Reihe von längeren Kommentaren zum Zeitgeschehen, etwa zur Transsexualität (280), und zum Teil genau datierte Tagebuchaufzeichnungen (z. B. zur Pandemie 2020ff. auf S. 277). Das Internet und die Social Media werden gewitzt-kritisch aufs Korn genommen: „Wohl bald vonnöten: die googlesichere Weste“. Das Thema Sprache und Literatur wird ebenfalls aphoristisch-definitorisch unter die Lupe genommen: „Plagiator: Der Schriftstehler.“ (76) Schließlich kriegen auch die „Piefkes“ ihr Fett weg: „Die Deutschen … und das an ihrem Wesen soll die Welt genesen-Gehabe: Muster ohne (Liebens-)Wert.“ (132)

Durchgängig streut Reinhold Aumaier auch religionskritische Anmerkungen ein, die unterschiedlich heftig ausfallen, so auf S. 194: „Nur Religionen, über die man sich lustig machen und die man durch den Kakao ziehen kann, Glauben schenken …“. Und metaphorisch krasser an anderer Stelle (141): „Das alles pervertierende Suchtgift Religion. Ein Placebo mit dem Effekt eines Taipan-Bisses.“ Schließlich in prägnant-aphoristischer Manier: „Wo Vergötterung, ist Entmenschlichung ganz nah.“ (139)

Zum hoffnungsvoll paradoxen Titel des Buches finden wir gegen Ende eine aphoristische Erläuterung: „Nachhaltiges wishful thinking: Nach mir die Sinnflut.“ (284) Auch auf das Titelbild, den Schattenwurf eines Esels, wird partiell und wieder einmal gekonnt wortwitzig Bezug genommen: „Das Eselsohr … in all seiner Knickseligkeit.“ (285)

Ein Fazit in aller Kürze: Wer Vergnügen an kreativer Gedankenfülle, an fantasievoller Sprachgestaltung hat und vor bisweilen etwas „wahnwitzigen“ Kalauern nicht zurückschreckt, wird an der Lektüre dieses neuen Bandes des überaus produktiven Autors aus Oberösterreich großes Vergnügen haben. Es empfiehlt sich jedoch die Aufnahme in wohldosierten Lektürehäppchen. Auf der Rückseite des Buches outet sich Aumaier übrigens als ausgesprochener Tierfreund: „Tiere gehen ihrer Wege und ziehen ihre Kreise. Der Mensch – zum Fortschritt verdammt.“

 

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