zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Jürgen Wilbert über:
Walter Jakoby: Eigen und sinnig – Gedankenblitze aus heiterem Hirn, BoD – Books on Demand, Norderstedt 2023

 

Nach „Später beginnt heute – Gedankensprünge in kurzen Sätzen“ (2017 – ebenfalls im Verlag „BoD“ erschienen) legt Walter Jakoby hier sein zweites Aphorismenbuch vor. Der Autor (geboren 1958 in Trier) ist Professor an der Hochschule Trier; er lehrt und forscht in den Bereichen Automatisierung und Management. Zu diesen Themen hat er mehrere Fachbücher veröffentlicht. In seinem jüngsten Aphorismenbuch finden sich keine biographischen Angaben. Es umfasst auf 105 Seiten rund 500 Aphorismen. Zur besseren inhaltlichen Orientierung hat Jakoby am Ende ein ausführliches, alphabetisches Schlagwortverzeichnis beigefügt. Die Vielzahl der Begriffe von Aberglauben über Mode bis Zwerge belegt die Breite der von ihm aphoristisch aufs Korn genommenen zwischenmenschlichen Eigenschaften und gesellschaftlichen Phänomene. Am häufigsten tauchen bei ihm diese Themen auf: Wahrheit und Lügen – Verstand – Zeit – Erfolg und Glück. Im bevorzugten Themenkreis der Aphoristiker dürfte er damit gut aufgehoben sein.

Da der Verfasser im Buch keinerlei Aussagen über sein aphoristisches Schreiben macht, die Kurztexte sozusagen für sich selbst sprechen lässt, wende ich mich eingangs seinen eigenen Definitionen von Aphorismen zu: „Aphorismen sind Gedankenkeime: Früchte gereifter und Wurzeln neuer Gedanken.“„ (S. 82) / „Aphorismen sind Aussprüche mit Anspruch.“ (100) Überzeugt in der ersten aphoristischen Begriffsbestimmung noch der bildhafte Vergleich mit der Pflanzenwelt, so verbleibt die zweite im Bereich des eher blassen, da naheliegenden Wortspiels mit Hinweis auf das zu erwartende Anspruchsniveau. Mit anderen Worten stellen Aphorismen für Jakoby anspruchsvolle Denkanstöße dar, die stets weitere Gedanken in Gang setzen. Insofern dürfte er auch Helmut Arntzens Definition zustimmen: „Im Aphorismus ist der Gedanke nicht zu Hause, sondern auf dem Sprung.“

Insgesamt fällt beim Lesen auf, dass der Autor ein Fan von kreativen Abwandlungen gängiger Redensarten und Sprichwörter ist. Hier einige Textbeispiele als Beleg: „Wer gerne mal aufs Ganze geht, dem geht auch gerne mal das Ganze drauf.“ (52) / Oder in Kalauermanier: „Suppenesser sind friedfertig: noch nie hat jemand die Löffel gewetzt.“ (52) / Hier als Verknüpfung zweier Redewendungen: „Was unter den Tisch fällt, endet oft unter dem Teppich.“ (45) Schließlich als originelle Variation eines alten Goethe-Spruches: „Nie ist es schwerer sich zu vertragen, als an einer Reihe von Familienfeiertagen.“ (97)

Als Meister des Wortspiels zeigt sich der Autor in diesen pointierten Aussagen: „Was ohne Sorgfalt begonnen, wird mit Sorgenfalten enden.“ (41)/ „Auch eine Staatsmisere: Regierungen, die nur reagieren.“ (37) Auf der Wortspielwiese kann man sich aber auch schon mal vergaloppieren, wie etwa in diesem Kurztext: „Pessimisten sind Menschen, denen gute Laune nicht in den Gram passt.“ (36) Allzu wortverspielt kommen mir auch diese Sätze vor: „Auch im Alleinsein kann man mit dem All eins sein.“ (33) / „Viele sind weise – auf ihre Weise.“ (7)

Gehäuft stoßen wir bei Jakoby auf die bei Aphoristikern beliebte Satzstruktur „Wer …, der …“; zum Beispiel in humorvoller Überspitzung: „Wer glaubt, dass Schönheitsoperationen attraktiver machen, glaubt auch, dass Weisheitszähne den Verstand schärfen.“ (101) Überhaupt scheint der Humor in dieser Aphorismensammlung den roten Faden zu bilden, man beachte nur den Untertitel „Gedankenblitze aus heiterem Hirn“; so könnte dieser Sinnspruch als Jakobys Devise zur Lebensbewältigung taugen: „Die Bürden des Alltags sind eher mit Humor als mit Würde zu tragen.“ (100) Dies trifft bei ihm auch auf die Institution Ehe zu: „Alleine ist eine Ehe nicht auszuhalten.“ (9)

Als durchgängiges Muster ist zu erkennen, das Widersprüchliche aphoristisch auf den Punkt zu bringen: „Raue Wahrheiten sind unbequemer als glatte Lügen“ (99) Wenn dieses Prinzip jedoch allzu häufig durchscheint, entsteht manchmal der Eindruck des Konstruierten, etwa auf den Seiten 98 und 99: „Wer immer obenauf sein will, ist bald unten durch. / „Wir planen Geraden, aber das Leben macht Kurven.“

Jakoby jongliert gekonnt mit unterschiedlichen aphoristischen Stilfiguren, so u.a. mit dem Chiasmus: „Schönheit ist nicht immer wahr, Wahrheit nicht immer schön.“ (97) Oder sinnfälliger: „Die Kirche steht noch im Dorf, aber das Dorf nicht mehr zur Kirche.“ (51) Wir finden auch so prägnante Wortneu-schöpfungen wie „Fremdenfremdlichkeit“ (50) oder „Sologamie“ in diesem Aphorismus: „Auf dem Weg zur Sologamie: viele lieben nur noch sich selbst.“ (40) / „In einem faktenleeren Raum breiten sich Falschinformationen mit Gerüchtgeschwindigkeit aus.“ (10)

Besonders aussagekräftig sind bei Jakoby die gesellschaftskritischen Kommentare und Bildaphorismen: „Sich erinnern ist Rudern gegen den Strom des Vergessens.“ (41) / „Der rote Faden der Weltgeschichte stellt sich als Spur aus Blut heraus.“ (97)

Bei so vielen Gedankenblitzen bleibt es nicht aus, dass der eine oder andere Assoziationen an bereits bekannte Aphorismen hervorruft; dies ist ja ohnehin das Charakteristische, ja bisweilen Fatale an der kurzen Gattung; zwei Vergleiche seien im Folgenden angestellt: Jakobys „Am leichtesten sind Geistlose zu begeistern.“ (59) erinnert an Marie von Ebner- Eschenbachs „Geistlose sind nicht zu begeistern, aber zu fanatisieren.“ Bei Jakoby heißt es an anderer Stelle: „Wenn die Mehrheit entscheidet, dominiert das Mittelmaß.“ (39) Wolfgang Mockers sinngemäßer, aber zugespitzter Aphorismus lautet: „Das Mittelmaß kennt keine Grenzen.“

Eines ist und bleibt unbestritten, auf dem weiten Feld der kurzen Denksprüche blühen und sprießen die aphoristischen Assoziationen und Inspirationen mitunter ins Unermessliche.

Abschließend als Fazit: die neue Kurztexte von Walter Jakoby im Buch „Eigen und sinnig“ stellen zweifelsohne eine positive, lesenswerte Erweiterung der Sortenvielfalt in der Aphoristik dar.

 

JWD, 24.3.2024

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen