zurück zur Übersicht der Rezensionen

 

Friedemann Spicker über:
Willi Georg Weiß: Ausweg. Aphorismen, Überlegungen, Gedichte, Gedanken und Selbstgespräche. Philosophisch-psychologische Kontemplation für den Wegsuchenden. Würzburg: Königshausen und Neumann 2023.

 

Der Rezensent beginnt, wie es angeraten ist, mit dem Vorwort. Sprache und Anspruch machen ihn schon hier ratlos:

„Dieses Buch ist alles, was ich in meinem ganzen Leben gedacht, bedacht und umarmt habe.“ (7)
„Ich bin gekommen in diese Welt, weil ich mein Leben so durchlaufen sollte, wie es passiert ist, damit ich das passende Resümee ziehen, dieses Buch schreiben und Ihnen übergeben konnte, weil ich diese Mission als die Tat meines Lebens empfinde.“ (7)
„Im Laufe meines Lebens habe ich die Verschiedenheit seelischer Gradationen des Menschen gesehen, gefühlt, detailliert gelernt, interpretiert, definiert und tiefenpsycholo­gisch analysiert, was ein Grund für mich wurde, mir zu erlauben, über dieses Thema zu reden.“ (8)

Die Ratlosigkeit wächst mit der Lektüre der Sprüche in den 48 Kapiteln mit Titeln wie „Verstand des Universums“, „Symbiose der Psychologie und Philosophie“, „Zeichen der Akzeptanz“ oder „Die Ewigkeit der Seele“. Der Autor ist georgischer Herkunft und lebt seit 26 Jahren in Deutsch­land. Er ist Arzt: „Ein Arzt darf nur dann ein Arzt sein, wenn er kein Arzt nicht sein kann.“ (18) An­gesichts dieses im aphoristischen Kontext in gewissem Sinne singulären Buches ist dem Rezensen­ten statt einer Rezension nur eine Anzeige möglich, die Zitate zusammenstellt, denn es handelt sich hier um esoterische Aussagen in einer Sprache, die ihm weitestgehend unzugänglich ist. Sie scheint teils aus dem Georgisch-Mystischen ins Deutsche übertragen: „Wer Unwahrnehmbares wahrneh­men kann, kann auch den Atem des Geistes des Universums wahrnehmen.“ (62) Sie ist für ihn un­greifbar und unübersetzbar, auch wo der Autor „genauer zu sein“ vorgibt: „Eine suizidale Tendenz kann hinter den Depressionen stecken, um genauer zu sein, bildet die Depression den Grund für die Stimulation der suizidalen Bewegung in der Person.“ (121)

Das sei an Kernbegriffen demonstriert, beginnend mit dem titelgebenden „Ausweg“: „Der Mensch soll seinen Ausweg selber finden, weil jeder Mensch ein Individuum ist und der Ausweg nur vom Aussichtspunkt deutlich sichtbar ist.“ (113) Weiß hat eine „Mission“ (34): „Jeder Mensch hat seine eigene Mission. Glücklich ist der, wer seine eigene Mission erkennt und erfüllt.“ (83) Es geht ihm um nichts weniger als den „Sinn des Le­bens“ (85): „Wenn wir den Sinn des Lebens erkennen möchten, müssen wir zuerst die Gesetze der bekannten und unbekannten Dimensionen in uns erkennen.“ (37) Die Akme, der Begriff, der in der antiken Geschichtsschreibung Höhepunkt und Gipfel bezeichnet, ist wohl ein Schlüsselbegriff für ihn:

„Weil ein Mensch die Form schneller ändert als den Verstand, ist das vielleicht der Grund, weshalb die Seele mehrere Male den Körper wechseln muss, bis sie die Akme der Ent­wicklung erreicht.“ (10)
„Das Akme, das seelische Erwachen, erreichen wir im Übergangszeitpunkt vom Leben ins Sterben. Diese kurze Zeit ist der Moment, um die seelischen Erscheinungnen als Wahrheit zu akzeptieren.“ (44)

Die Elemente dieser Weltanschauung sind zum einen aus den arationalen, der Mystik nahen Strö­mungen der Gattungsgeschichte bekannt, der die „Tiefe“ und das bedeutungsschwere „Schauen“ vertraut sind: „Wenn wir tief sehen wollen, müssen wir tief schauen.“ (57) Man wird an die breite Strömung der Lebenshilfe-Aphoristik erinnert: „Alles ist in uns, wir müssen es nur finden.“ (72); „Die Wahrheit ist in uns, wir müssen sie nur finden.“ (107) Zum andern wirken verschiedene asiati­sche Strömungen hinein (Zen-Buddhismus, Taoismus); Begriffe wie „Inkarnation“ oder „Nichtstun“ legen das nahe: „Das Sterben ist der beste Zustand für das Nichtstun.“ (96); „Der seelische Progress wird erreicht, nachdem wir den Weg gelaufen sind, was nicht unbedingt in einer Inkarnation abge­grenzt sein muss.“ (46) Der hilflos Abgewiesene erinnert sich der Koans, wenn er liest: „Hinter dem Weiß kann nichts versteckt werden, hinter dem Schwarz ist nichts sichtbar.“ (91)

 

zurück zur Übersicht der Rezensionen